Die Enklave
uns hier eingebrochen war, war längst verschwunden.
»Wir sind weit genug von den Wölfen weg, dass wir eine Pause riskieren können«, sagte Tegan. »Mit ein bisschen Glück haben sie in der Zeit, in der Pirscher die anderen zusammengetrommelt hat, unsere Spur verloren.«
»Wie sehr müssen wir auf der Hut sein?«, fragte ich.
»Er ist ein guter Spurenleser, aber wir haben eine ziemliche Strecke zurückgelegt.«
Meine brennenden Fußsohlen bestätigten Tegans Worte. Oben war laufen etwas ganz anderes als unten in den Tunneln.
Dort genügten unsere Stiefel aus gegerbter Tierhaut, aber hier brauchte man schwereres Schuhwerk.
»Ich hoffe, wir sind weit genug weg«, sagte Bleich.
Wir kletterten vorsichtig durch die zersprungenen Fenster in den dahinterliegenden Raum. Es war ein Laden, ganz ähnlich wie der, in dem wir uns zuvor versteckt hatten, nur größer. Reihen um Reihen von Metallregalen erstreckten sich vor uns, und von der Decke baumelte lose ein blaues Schild mit roter Aufschrift. Ich legte den Kopf in den Nacken und entzifferte ein paar der Buchstaben: Cal’s MegaMart . Staunend ging ich zwischen den Regalen hin und her. Die meisten waren restlos leergeräumt, aber ich fand noch ein paar Dosen, die ich in meinen Beutel steckte.
Wir beschlossen, uns aufzuteilen und alles gründlich zu durchsuchen. Wenig später hörte ich Tegan laut aufschreien. Ich zog meine Dolche und rannte in die Richtung, aus der ihre Stimme gekommen war. Als ich sah, dass sie vor Aufregung geschrien hatte und nicht vor Angst, blieb ich stehen. Überall um sie herum waren Kleidungsstücke aufgehängt, bunt und von einer Machart, wie ich sie noch nie gesehen hatte. Die Stoffe fühlten sich glatt und kühl an. Manche rissen sofort ein, wenn ich sie anfasste, andere waren perfekt erhalten.
»Seitdem die Wölfe mich geschnappt haben, habe ich nichts Eigenes mehr besessen«, sagte Tegan mit einem Zittern in der Stimme, das mich zutiefst berührte.
»Such dir doch was aus, das dir passt«, schlug ich vor. »Wenn es hier Essen und Kleidung gibt, finden wir wahrscheinlich auch eine Tasche für dich.«
Und dank der Methode, mit der sie mich entkleidet hatte,
brauchte auch ich neue Ersatzkleidung. In der Enklave hatte ich gelernt, mit dem zurechtzukommen, was ich in meinem Beutel verstauen konnte, aber der Gedanke, nichts zum Wechseln zu haben, wenn meine Sachen zu dreckig wurden, gefiel mir nicht. Und es würde nicht mehr lange dauern, bis es so weit war.
Ich wühlte mich durch die Kleidungsstücke, bis ich eine grüne Hose und einen dazu passenden Pullover fand. An der Vorderseite des Pullovers befand sich ein senkrechter Metallstreifen mit einem kleinen Schlitten darauf. Ich bewegte den Schlitten ein paarmal rauf und runter und dachte mir, dass er wohl das Anziehen erleichtern sollte. Die Hose war genauso einfach wie die, die ich aus der Enklave kannte, und hatte eine Schnur, um sie auf der Hüfte zu halten. Gut. Die Kleidungsstücke waren leicht, glatt und fühlten sich bequem an. Der Stoff war ein wenig staubig, also schlug ich ihn ein paarmal gegen die Wand, um ihn zu säubern, woraufhin er in einem weichen Glanz erstrahlte, wie ich es noch nie gesehen hatte. Umso besser, wenn er auch noch leicht zu reinigen war.
Ich ließ Tegan wieder allein, die nach einer Tasche für ihre Sachen suchte. Im nächsten Regal sah ich mehrere Flaschen, die aussahen, als würden sie Wasser enthalten. Überwältigt von so viel Glück, steckte ich ein paar davon ein. Vielleicht gab es hier sogar einen Waschraum, dachte ich, und schließlich fand ich auch einen, versteckt in einem kleinen, dunklen Gang am hinteren Ende des Ladens. Die Dunkelheit störte mich nicht. Ich hatte gute Ohren und würde jede Bewegung hören.
Drinnen war es dreckig, aber nicht so widerlich wie in dem auf der Plattform. Der Spiegel erschreckte mich diesmal
nicht mehr, und ich ignorierte die Frau einfach, die ich dort sah. Auch wenn mein Gehirn mir sagte, dass ich diese Frau war, spürte ich keinerlei Verbindung zu ihr, und ein paarmal blickte ich auf, nur um zu sehen, ob sie einfach mit dem weitermachen würde, womit sie gerade beschäftigt war, oder innehalten und mich anstarren, so wie ich es tat. Jedes Mal machte sie genau dieselben Bewegungen wie ich, aber mein Unbehagen blieb. Für mich sah es aus, als wäre dort eine weitere Tür.
Ich öffnete eine der Flaschen. Der Inhalt roch nicht wie das abgekochte Wasser in der Enklave, aber ich hatte auch nicht vor, ihn zu
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