Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Enklave

Die Enklave

Titel: Die Enklave Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ann; Pfingstl Aguirre
Vom Netzwerk:
zu weinen wegen dieses Wunders, das die Bälger aus der Enklave nie zu sehen bekommen würden.
    Und zum ersten Mal sah ich die Sonne aufgehen, sah, wie sie sich über das Wasser erhob und ihr Licht wie Speere in meine Richtung schleuderte. Ich wusste nicht, wie lange wir schon so dastanden, vollkommen verzückt, als Bleich schließlich an meiner Hand zerrte. Ich hatte nicht einmal gemerkt, dass er sie die ganze Zeit über gehalten hatte. Der Griff seiner Finger war stark und sicher. Tegan sah verwirrt aus, aber vielleicht war es auch nur die Müdigkeit.
    »Ich hoffe, wir sind nicht zu weit vom Weg abgekommen«, sagte sie schließlich.
    Bleich schüttelte den Kopf. »Nein. Das hier erkenne ich sogar wieder.«
    »Das hier« war ein seltsam geformtes Gebäude mit einem Steg darum herum. Im Gegensatz zu den anderen sah es aus, als wäre es aus Holz, das allerdings längst verrottet war. Bleich lief weiter am Wasser entlang, bis wir zu einem niedrigen, roten Gebäude kamen, auf das mehrere Buchstaben gemalt waren. Die meisten davon waren verblichen, nur die rätselhafte Botschaft OLEA L U GE war noch zu erkennen. Ich hatte keine Ahnung, was das einmal bedeutet haben
mochte, aber Bleich schien sich seiner Sache sicher. Er ging auf das Gebäude zu und stieg eine Treppe zu einer Tür hinunter. An den Fenstern daneben befanden sich dicke, schwarze Metallgitter.
    Die Sonne wurde immer heller, und Bleich klopfte hektisch gegen die Tür. Ich mochte das Tageslicht immer noch nicht besonders und holte die Brille mit den dunklen Gläsern aus meinem Beutel. Die Strahlen wurden wärmer, und ich spürte, wie sie auf meiner Haut brannten. Bleich hämmerte eine schiere Ewigkeit gegen die Tür und zog immer wieder an einer Schnur, die von oben herabhing. So standen wir eine ganze Weile lang da.
    »Verschwindet!«, rief eine Frau schließlich von drinnen.
    »Pearl?«
    Endlich ging die Tür einen Spaltbreit auf, gerade so weit, dass die Frau dahinter uns sehen konnte. »Wer seid ihr?«
    »Mein Vater hat deinen gekannt. Du bist doch Oslos Tochter, oder? Wir wollten mit dir sprechen.«
    Das Quietschen der sich schließenden Tür übertönte ihre Antwort. Dann hörte ich, wie sie mehrere Ketten und Bolzen entriegelte, und die Tür schwang auf. »Kommt rein, schnell!«
    Wir befolgten die Anweisung.
    Über endlose Treppen führte sie uns tiefer hinein, bis wir zu einer weiteren massiven Metalltür gelangten. Die Frau sperrte sie auf, und mit staunenden Augen betrachtete ich den Raum dahinter: Alles war sauber und sah neu aus. Die Relikte in dem Raum sahen aus, als wären sie erst gestern hergestellt worden. Ein paar davon erkannte ich. Es gab ein Sofa, einen Stuhl, einen Tisch, aber der Rest sagte mir rein
gar nichts. Der Raum nebenan war bis oben hin mit Vorräten gefüllt.
    »Lange her«, sagte Bleich. »Du hast dich verändert.«
    In seinem Lächeln blitzte etwas auf, das mir nicht gefiel. Natürlich hatte Pearl sich verändert. Die beiden hatten sich seit mindestens sechs Jahren nicht gesehen. Sie war so alt wie Bleich, vielleicht ein bisschen älter, und sie war hübsch . Sauber. Ihr helles Haar schimmerte wie die Sonne, und ihre Augen waren so grün wie das Wasser, das ich noch vor wenigen Momenten bestaunt hatte. Und ihre Haut … ihre Haut hatte nicht diese blasse, kränkliche Farbe wie meine, sondern leuchtete regelrecht von einer zärtlichen Wärme. Aber Pearl hatte auch nicht ihr ganzes Leben unter der Oberfläche verbracht.
    Sie betrachtete Bleichs Narben. »Du auch. Wohin bist du verschwunden?«
    »Nach Unten.«
    »Wirklich?« Sie würgte beinahe. »Ich habe gehört, die Menschen dort seien kaum besser als Tiere.«
    Interessant . Ich hatte denselben Eindruck von den meisten Oben-Bewohnern, denen ich bisher begegnet war. In stiller Sympathie drückte Tegan schweigend meine Hand, und ich spannte meine Kiefermuskeln an.
    »Das stimmt nicht«, sagte Bleich. »Zumindest nicht bei allen.«
    Ich ging einen Schritt auf Pearl zu und setzte ein falsches Lächeln auf. Schließlich befanden wir uns in ihrem Zuhause, und ich musste zumindest ein bisschen höflich sein. »Ich bin Zwei, ein Tier von Unten.«
    Sie war wenigstens so freundlich, ein gewisses Unbehagen zu zeigen. »Tut mir leid. Ich bekomme nicht oft Besuch.«

    »Gehst du nie nach draußen?«, fragte Tegan. Wahrscheinlich fragte sie sich, warum die Ganger Pearl noch nicht geschnappt hatten.
    »Nicht oft. So gut wie alles, was ich brauche, habe ich hier.«
    Bleich nickte. »Dein

Weitere Kostenlose Bücher