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Die Enklave

Die Enklave

Titel: Die Enklave Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ann; Pfingstl Aguirre
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also.«
    Der Moment war zerstört, also ging ich zurück in den Raum mit den Sofas, wo immer noch die offene Dose mit den Kirschen stand. Ich reichte sie Tegan: »Probier mal.«
    »Sieht aus wie … Wow! « Nachdem sie einmal vorsichtig probiert hatte, schaufelte sie – wie ich – die Kirschen mit den Fingern in den Mund.
    Jetzt konnte ich sehen, warum es Bleich solchen Spaß gemacht hatte, mich zu beobachten. Tegans Entzücken war ansteckend und sprang als stummes Lächeln auf mein Gesicht über. Ich fand, sie hatte etwas Süße verdient, und wir ließen sie den Rest allein aufessen.
    »Ich hab noch mehr in meinem Beutel. Verriegle doch schon mal die Tür.« Während Bleich den Raum verschloss, wühlte ich in meinem Sack. »Mal sehen, was es noch so zum Abendessen gibt.«
    Die nächste Dose, die wir öffneten, roch nach Fisch, aber nicht ranzig. Im Lauf der Jahre hatte ich einiges an Erfahrung gesammelt und konnte mit großer Sicherheit sagen, ob man etwas noch essen konnte oder nicht. Der Farbe und Beschaffenheit nach war es tatsächlich Fisch. Wir teilten ihn unter uns dreien auf. Ich wusste, dass wir es brauchen würden, denn keiner von uns konnte sagen, wann wir das nächste Mal so gutes Essen bekommen würden. Ich hatte noch eine Dose, auf der die Worte GEMÜSE-MIX standen. Der bunte Matsch darin schmeckte zwar nicht besonders gut, aber er füllte unsere Bäuche.
    »Danke, dass ihr mich mitgenommen habt«, sagte Tegan schließlich.

    Bleich seufzte. »Es ist noch zu früh, um sich zu bedanken. Wir ziehen weiter nach Norden, und bis wir an unserem Ziel angekommen sind, wirst du dir vielleicht wünschen, du wärst bei den Wölfen geblieben. Wir haben nicht die geringste Ahnung, was uns da draußen erwartet.«
    »Ich bin gespannt, es herauszufinden.« In ihrem Blick lag ein gesunder Hunger, eine Sehnsucht, die nicht verschlingen, sondern einfach nur die Wahrheit wissen wollte.
    Ich konnte diesen Blick gut verstehen. Seit ich mich von dem Gedanken verabschiedet hatte, ich könnte das Leben der Bälger zum Besseren wenden, war ich geradezu besessen davon, alles zu verstehen: warum manche unter der Oberfläche lebten, so wie die Menschen in den Enklaven, die Freaks und die Tunnelbewohner, während andere Oben blieben und dort zu den größten Monstern von allen wurden.
    »Hast du das Buch noch?«, fragte Bleich.
    Wortlos griff ich in meinem Beutel und gab es ihm. Das Licht, das durch das eine Fenster hereinkam, reichte aus, um die Buchstaben erkennen zu können. Bleich fragte gar nicht erst, ob es uns interessierte, er schlug das Buch einfach auf und begann vorzulesen. Ich hörte zu, bis mir die Augenlider schwer wurden, dann sank ich auf seinem Schoß zusammen. Ich träumte von rotgolden leuchtenden Jungen und von Mädchen mit einer Haut wie Schatten.

PEARL
    Wir brauchten zwei Tage, um das Gebiet zu finden, das Bleich für das hielt, in dem der Freund seines Vaters gelebt hatte. Die Markierungen an den Gebäuden halfen uns, doch versuchten wir gleichzeitig, uns von den Gangterritorien fernzuhalten, weshalb wir nur langsam vorankamen.
    Die Luft hier roch anders, stärker, schärfer. Mit jedem Atemzug schmeckten wir salzigen Dosenfisch auf der Zunge. Auch Tegan schien es zu bemerken. Plötzlich hob sie den Kopf und rannte los. Bleich rief noch hinter ihr her, aber sie ignorierte ihn, und auch ich wollte wissen, woher die Veränderung kam, und lief ihr nach. Doch als die Welt jäh vor uns endete, blieben wir abrupt stehen. Wir standen vor einem steilen Abhang, darunter lose Erde und dahinter – Wasser. Noch nie hatte ich etwas Derartiges gesehen oder mir auch nur vorgestellt. Es war genauso groß wie der endlose Himmel; weit entfernt küssten sich die beiden in flüsternden Blautönen, und darüber funkelten diese eigentümlichen Lichtpunkte. Überwältigt schnappte ich nach Luft.
    »Hast du das schon mal gesehen?«, fragte ich Bleich leise.
    »Nur einmal. Aber ich war mir nicht mehr sicher, ob ich es wirklich gesehen habe. Ich hab angefangen zu glauben, es wäre ein Traum gewesen.«

    Ich stellte mir Bleich vor, nur halb so groß, wie er die Hand seines Zeugers umklammert hielt und das Wasser beobachtete, das unten gegen die Felsen klatschte. Es schien kein Ende zu haben, nur diesen Anfang. Aber vielleicht war es auch umgekehrt, und dies hier war das Ende aller Dinge. Für mich fühlte es sich auf jeden Fall so an, während ich dastand, sehnsüchtig, schweigend, und in die Ferne blickte, verzweifelt bemüht, nicht

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