Die Enklave
ihm?«
»Nein. Nicht direkt. Aber davon, was er seine Wölfe hat mit mir machen lassen.«
»Hast du nicht gesagt, dass er die Frauen immer als Erster bekommt?«
»Nicht, wenn ein anderer sie gefangen hat. Er hatte das Recht, Anspruch auf jede zu erheben, die er wollte, aber er tat es nur selten.« Wut kochte in ihr hoch. »Du warst eine der wenigen Ausnahmen.«
»Und jetzt nimmst du es ihm übel, dass er dir nicht auch geholfen hat.«
»Natürlich tue ich das! Er war der Anführer, sie hörten auf ihn. Hätte er ihnen gesagt, dass sie aufhören und mich in Ruhe lassen sollen, hätten sie es getan.«
»Kannst du kämpfen?«, fragte Pirscher unvermittelt. Ich hatte nicht bemerkt, dass er wach war, andererseits war Tegan auch nicht gerade leise. »Jagen? Kleidung oder irgendwas anderes Nützliches herstellen?«
Tegan funkelte ihn an. »Nein!«
»Dann bist du, wie mir scheint, zu nichts anderem zu gebrauchen, als Nachkommen zu zeugen. Meine Aufgabe war, die Welpen zusammenzuhalten. Dafür zu sorgen, dass sie als Rudel funktionieren«, erklärte Pirscher. Er setzte sich auf und fuhr mit der Hand durch sein helles Haar, das wie Stacheln von seinem Kopf abstand. Wie das von Pearl leuchtete es noch heller, wenn das Sonnenlicht darauffiel. »Und das habe ich getan , besser als alle anderen vor mir.«
»Und dann hast du sie dem sicheren Tod überlassen, weil du Angst hattest, allein zurückzugehen.«
Pirscher stürzte sich auf sie, aber Bleich riss einen Arm hoch und packte ihn. »Hört auf! Beide!«
Ich lauschte, ob irgendetwas sich an uns heranschlich, aber ich hörte nur das Stöhnen des Windes, der durch die großen
Räume wehte. Ich rappelte mich hoch, steckte meine Decke ein und schulterte meinen Beutel.
»Es gibt nur eine Lösung«, sagte ich. »Ihr beide müsst vergessen, was bis jetzt war.« Tegans Gesicht verfinsterte sich, und ich hob die Hand. »Wenn ihr das nicht tut, werden wir es nicht schaffen. Glaubt ihr, dass es für mich leicht ist? Ich könnte in Sicherheit sein, in meiner eigenen Parzelle auf meiner Matratze liegen und mich um nichts weiter kümmern, als Befehle zu befolgen. Stattdessen bin ich hier und frage mich jeden Tag, ob wir genug zu essen oder einen Platz zum Schlafen finden werden, ob ich nicht das nächste Mal aufwache, weil jemand oder etwas versucht, mich umzubringen. Es ist verdammt schwer . Und es wird noch schwerer werden, je weiter wir uns von bekanntem Gebiet entfernen. Wir haben keine Ahnung, was da draußen auf uns wartet. Keine! Und entweder seid ihr beide bereit, noch mal ganz von vorn anzufangen … oder ihr seid es nicht. Ich hab genug davon. Wenn ich nicht loslassen würde, was ich verloren habe, würde ich den Verstand verlieren. Und ich schlage vor, ihr beide tut das Gleiche!«
Wütend krempelte ich meinen Ärmel hoch und begutachtete den Biss. Ich hätte mich letzte Nacht darum kümmern sollen, aber ich war einfach zu müde gewesen. Die Haut um die Wunde herum war violett, das Fleisch ausgefranst und geschwollen. Ich konnte nicht sagen, wie viel schlimmer es noch werden würde. Ich goss etwas Wasser darüber, wischte es ab und wühlte in meinem Beutel nach der Salbe. Sie roch immer noch nicht besser als damals, als Banner sie mir zum ersten Mal gab, war immer noch klebrig und eklig, und sie brannte wie Feuer, als ich sie auf die Wunde schmierte. Ich
zischte durch zusammengebissene Zähne, Tränen stiegen mir in die Augen, und wie aus dem Nichts überkam mich eine Sehnsucht nach zu Hause.
Wenn sie nicht auf unsere Warnungen gehört hatten, war College vielleicht schon überrannt. Ich würde nie erfahren, was aus Stein und Fingerhut geworden war, und diese Ungewissheit brannte in mir wie die Salbe auf meiner Wunde. Ich hielt mich nicht damit auf, sie zu verbinden, sondern zog einfach den Ärmel wieder herunter. Es tat noch lange weh, und ich musste an Knochensäges Behandlungsmethoden denken. Wie Seide immer gesagt hatte: »Was dich nicht umbringt, macht dich nur stärker.« Der Worthüter hatte ein ganzes Buch voll mit Sprüchen dieser Art. Es war von einem einzigen Mann geschrieben worden, einem ziemlich weisen, schätze ich, aber ich konnte mich nicht mehr an seinen Namen erinnern.
Seufzend aß ich etwas von dem Maiseintopf und öffnete eine weitere Dose. Der Inhalt roch nach Fleisch, in Stückchen gehackt, vermischt mit noch etwas anderem. Was soll’s?, dachte ich mir und aß auch davon. Ich trank noch einen Schluck Wasser und reichte dann die Flasche weiter.
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