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Die Enklave

Die Enklave

Titel: Die Enklave Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ann; Pfingstl Aguirre
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Heilung. Die Klauen hatten sich tief ins Fleisch gegraben und seine Eingeweide zerschnitten. Pirscher flüsterte
ihm etwas zu, und der Junge nickte knapp. Er machte seinem Leiden ein Ende, und wir gingen.
    Schweigend liefen wir die leeren Straßen entlang. Keiner von uns hatte noch genug Kraft zum Reden. Die endlosen Ruinen um mich herum bedrückten mich, als würde durch sie das Echo der Zeiten hallen, als sie noch vor Leben vibrierten. In Wirklichkeit hörte ich nur den Widerhall unserer Schritte in der Dunkelheit.
    Tegan hatte die Schultern hochgezogen, ihr ganzer Körper war angespannt. Aus der Art, wie sie Bleich verstohlen ansah, schloss ich, dass sie wütend über seine Entscheidung war. Ich konnte mir gut vorstellen, dass sie ihre Drohung, Pirscher im Schlaf zu töten, in die Tat umsetzen oder es zumindest versuchen würde. Selbst schlafend war er wahrscheinlich kein leichtes Opfer, dachte ich. Dass er sich zum Anführer der Wölfe durchgekämpft hatte, hieß, dass er stark war.
    Während wir gingen, hielt ich meine Augen gesenkt. Ich ignorierte das Pochen in meinem Arm und das drückende Gewicht des dunklen Himmels über mir. Nur ab und zu riskierte ich einen Blick, und seine schiere Größe überwältigte mich. Ich hatte Bleich schon nach den Lichtpunkten gefragt, aber er wusste selbst nicht genau, was sie waren. Ich stellte sie mir als die Fackeln einer Stadt vor, die dort, hoch oben, erbaut war. Nur Vögel konnten dort hinaufgelangen, und vielleicht hatten die Menschen, die dort lebten, Flügel. Bestimmt wären sie blass und schön, mit weißen Federn und leuchtendem Haar.
    Wir kamen an einem dunklen Tümpel mit stehendem Wasser vorbei. Regenwasser hatte sich dort in einem Riss in dem steinigen Untergrund gesammelt. Es roch abgestanden,
aber ich wusch mir damit das Blut ab. Die anderen taten das Gleiche. Dann wurde es kalt, und ich zog mir meine Kopfbedeckung über. Wir gingen weiter, bis es auf einer Seite des Himmels hell zu werden begann. Zuerst war das Licht grau, dann wurde es zu einem weichen Rosa und schließlich zu Gold. Bevor die Sonne ganz aufgegangen war, konnte ich zumindest zugeben, dass sie schön war, die Art, wie sie die Gebäude färbte und ihre gezackten Umrisse glättete.
    Wir waren ein ganzes Stück nordwärts marschiert, und ich sah keine Gangmarkierungen mehr. Pirscher bemerkte es ebenfalls. » Wir haben gelernt, in der Umgebung unserer Höhle zu überleben. Die Grenzen unseres Territoriums haben wir nie überschritten.«
    »Außer wenn ihr auf der Suche nach neuen Frauen wart«, sagte Tegan bitter.
    Pirscher zuckte nur die Achseln, als gelte ihre Meinung in seinen Augen nichts, und ich glaubte zu verstehen, warum. Bleich und mich respektierte er, weil wir gekämpft hatten. Tegan hatte das nicht getan, und deshalb würde er sie nie für voll nehmen.
    »Selbst dann sind wir niemals so weit gekommen«, erklärte Pirscher.
    »Lasst uns nach einem Laden suchen«, sagte ich. »Vielleicht finden wir noch mehr Essensdosen und Wasser. Ich möchte kein Feuer machen, bevor wir die Ruinen nicht hinter uns haben.«
    Die anderen stimmten zu. Das Sonnenlicht fing an, auf meiner Haut wehzutun, und wir gingen weiter, auf der Suche nach einem geeigneten Schlafplatz.

ATEMPAUSE
    Wir fanden drei Läden und genug Essen für ein paar Tage, aber der Geruch in ihnen stieß uns ab. Mir schien Gefahr von ihnen auszugehen, ein Sinn, den ich in meiner Zeit als Jägerin entwickelt hatte. Also zogen wir weiter, trotz des Tageslichts. Als wir endlich ein Gebäude fanden, das robust und sicher genug aussah – bis auf das eingeschlagene Fenster, durch das wir hineinkletterten –, war ich vollkommen erschöpft, und meine Haut prickelte unangenehm. Ich ging als Erste hinein, dann folgte Pirscher.
    »Du bist rot«, sagte er zu mir. »Hast du noch nie das Sonnenlicht gesehen?«
    Es machte mir nichts aus, dass er mich anscheinend beobachtete. Ich konnte mich verteidigen, wie ich bereits bewiesen hatte.
    »Nicht oft. Ich hab dir doch gesagt, dass ich von einem der Untergrundstämme komme.« Das war Tegans Wort für uns. »Aus der Enklave College«, fügte ich hinzu, als ob ihm das irgendetwas sagen würde.
    »Das hast du ernst gemeint?«
    »Ja.«
    Tegan und Bleich kletterten herein. Bleich kam als Erster und half ihr durch den Fensterrahmen. Wir standen in
einem Flur, der vom Sonnenlicht erhellt wurde, und ich sah überall Staub in der Luft. Der Boden war faszinierend, eine Mischung aus Grün und Weiß. Ich betrachtete

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