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Die Entdeckung der Currywurst

Die Entdeckung der Currywurst

Titel: Die Entdeckung der Currywurst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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herein, müßte er nur in den Schrank greifen und sich ein Hemd heraussuchen. Bremer zog sich ein hellblaues Hemd an, dann den hellgrauen Anzug, wählte eine blaugeflammte Krawatte. Älter, nein, seriöser sah er in diesem Anzug aus. Und unverwechselbar. Wer ihn sehen würde, müßte denken, er sei ein erfolgreicher Kaufmann oder ein noch sehr junger Rechtsanwalt.
    In diesem Moment hörte er das Klopfen an der Wohnungstür, ein leises, fast zaghaftes Klopfen. Er raffte seine Uniformteile zusammen, lief – er hörte schon den Schlüssel im Schloß knirschen, in die Kammer, verschloß die Kammertür und zog den Schlüssel ab. Er versuchte, seinen Atem zu beruhigen, ein Keuchen, mehr von Angst, Hektik und vom Atemanhalten als von den hastigen Griffen, den paar Schritten, die er laufen mußte. Hatte er nichts vergessen? Lag da nicht womöglich noch eine Socke von ihm? Oder das Koppel? Nein, das hatte er in der Kammer. Er blickte durch das Schlüsselloch der Kammertür und sah den orthopädischen Stiefel, sah Lammers im grauen Wehrmachtsmantel, sah ihn vorsichtig in die Küche humpeln. Bremer hörte ein Kratzen, ein Schaben. Was macht der da? Dann kam Lammers wieder vorbei, ging in das Wohnzimmer. Dort lag aufgeschlagen der Schulatlas. Das war nichts Verdächtiges. Plötzlich kam der Mantel näher, bis es vor dem Schlüsselloch schwarz wurde, dann, sehr sacht, wurde die Klinke heruntergedrückt, und Bremer fuhr unwillkürlich zurück. An der Tür wurde gezogen, gerüttelt. Schritte, die sich entfernten. Deutlich war zu hören, wie Lammers den Schlafzimmerschrank aufschloß. Lammers ging ins Bad, das ja genaugenommen nur eine Toilette mit einem Waschbecken war. Und da durchzuckte es Bremer: Dort lag sein Rasierzeug. Lammers würde einen Rasierpinsel, einen Rasierapparat und ein Stück Seife finden. Trocken zwar, er hatte sich ja zuletzt gestern eingeseift, aber dennoch war zu sehen, das Rasierzeug war in letzter Zeit gebraucht worden. Lammers kam aus dem Bad, hinkte den Korridor entlang und zog leise die Tür ins Schloß. Bremer wartete in der dunklen Kammer, und als er nichts mehr hörte, ging er hinaus, ging ins Bad und sah: Das Rasierzeug war verschwunden. Lammers mußte es mitgenommen haben.
    Er wird kommen, dachte Bremer, er wird zurückkommen mit einer Wehrmachtsstreife, sie werden dich abholen. Sollte er einfach auf die Straße gehen? Aber da würde ihn jeder Polizist nach dem Ausweis fragen, ein elegant gekleideter junger Mann, der nicht in Uniform steckte, das durfte es gar nicht geben. Die einzige Chance, die einzige winzige Chance ist, wenn sie kommen, zu sagen: Ich bin schwedischer Seemann, dachte er und setzte sich wieder in die Kammer und hörte sein Blut im Kopf rauschen.
     
    Abends ging Lena Brücker die Treppe hinauf, das Treppenhauslicht lief wie gewöhnlich nur, bis sie zum zweiten Stock gekommen war. Sie wollte eben die letzte Treppe hinaufgehen, als die Wohnungstür aufging, und heraus kam Frau Eckleben und sagte: Bei Ihnen ist jemand in der Wohnung.
    Nein.
    Doch. Sind immer Schritte zu hören, direkt überm Wohnzimmer.
    Nee, sagte Lena Brücker, ganz unmöglich.
    Doch, sagte Frau Eckleben, ich wollte schon Polizei holen, ganz sicher: läuft jemand rum. Besser Sie holen den Lammers, jetzt, wenn Sie auf schließen. Wenn da nun ein Einbrecher drinsitzt.
    Richtig, sagte Lena Brücker und schlug sich übertrieben mit der Hand vor die Stirn, richtig, hab ich ganz vergessen, hab ja meiner Freundin den Schlüssel gegeben.
    Hörte sich nicht nach einem Frauenschritt an.
    Glaub ich, die ist ja auch Kranführerin im Hafen.
    Sie müssen es ja wissen. Die Tür schloß sich vor dem zu Mißtrauen erstarrten Ecklebengesicht.
    Lena Brücker schließt ihre Wohnungstür auf, zieht sie schnell hinter sich zu. Sie geht in die Küche, geht ins Schlafzimmer, hallo, sagt sie leise, will ins Wohnzimmer, da geht die Tür der Kammer auf, und ihr Mann kommt heraus. Was willst du hier, will sie fragen, kriegt vor Schreck aber kein Wort raus. Erst als er langsam aus dem Dunkeln näher kommt, erkennt sie Bremer. Lammers war hier, in der Wohnung. Ich muß weg. Er hat mein Rasierzeug mitgenommen. Aber da kann sie endlich lachen und sagen, daß sie das ja gestern in den Wäschebeutel gesteckt hat.
    Stachelig bist du heute, sagt sie, als er sie küßt, und dann zeigt sie auf die schwarzen Halbschuhe ihres Mannes, die seit sechs Jahren in der Kammer standen, die sie in all den Jahren nie angerührt hatte. Auch nicht die Anzüge, nicht

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