Die Entdeckung der Currywurst
die Oberhemden, die sie gewaschen, sorgfältig gebügelt und dann eingeordnet hatte. Sie hatte sie aufgehoben, weil sie, die sonst nicht weiter abergläubisch war, dachte, wenn ich die Sachen weggebe, dann taucht er bestimmt wieder auf, irgendwann, um die abzuholen. Sie müßte dann erklären, warum sie die weggegeben hatte. Und dann würde er einfach bleiben. Sie wäre dann in seiner Schuld. Nur die Unterhosen, die Unterhemden, die hatte sie dem Winterhilfswerk gegeben. Dafür könnte sie denn auch sofort einen Grund nennen, dem ihr Mann nicht einmal hätte widersprechen können. Das ungenützt herumliegende Unterzeug half der kämpfenden, im russischen Winter frierenden Truppe. Auch würde er nie nach der Unterwäsche fragen, die einfach immer sauber gewaschen dalag und nicht der Rede wert war. Denn mit dreckigen Unterhosen hatte nur sie zu tun. Jederzeit denkbar war, daß er kommen und nach den teuren maßgeschneiderten Anzügen und Hemden fragen würde oder nach den Halbschuhen, in deren Innenleder das Herkunftsland USA geprägt war. All diese Kleidungsstücke paßten, was sie immer als irritierend empfunden hatte, nicht in die Gegend, nicht in dieses Haus, nicht in diese billige, enge Wohnung.
Die passen, sagt Bremer und macht einige Schritte.
Du darfst nicht in Schuhen rumlaufen. Die Eckleben wollte schon die Polizei rufen, glaubte, hier waren die Einbrecher. Sie zog aus dem Einkaufsnetz eine Tüte mit Reis. Eine Sonderzulage, hat es heute gegeben.
Tja, sagte Frau Brücker, und da hat er mich gefragt, ob ich Curry im Haus habe. Frau Brücker lachte. Sie nahm eine neue Masche auf, zwischendurch dieses schnelle Tasten zum Rand. Christian, mein Urenkel in Hannover, macht bald Abitur. Der läuft gern Ski. Für den ist der Pullover. Der Sohn vom Heinz. Heinz ist der Sohn von Edith, meiner Tochter.
Ich mach uns n Kaffee. Sie stand langsam auf, ging in die Kochnische, stellte den Tauchsieder an, schüttete Kaffee in den Filter, tastete zum Sieder. Soll ich helfen? fragte ich sie, weil ich dachte, sie könne sich verbrühen, und sei es nur von den Spritzern des kochenden Wassers.
Nee, geht schon. Sie goß das kochende Wasser in den Filter und holte ein Stück alten Gouda aus dem Kühlschrank, zerschnitt ihn in kleine Stücke, stellte den Teller auf den Tisch.
Ich versuchte, sie auf den Curry zurückzubringen. Hat Bremer denn das Rezept entdeckt?
Bremer, wieso? Weil er gefragt hat. Was? Na, wegen des Currys. Ach so. Nee. Das mit der Currywurst war n Zufall, nix weiter. Ich bin gestolpert. Dabei ist es passiert. War n einziger Matsch.
Hatten Sie denn damals Curry zu Hause?
Natürlich nicht. Heute wird ja alles mögliche aus allen Himmelsrichtungen gekocht und gegessen, Spaghetti, Tortellini, Nasi Goreng und wie das Zeug alles noch heißt. Hier kochen sie zum Beispiel Currygeschnetzeltes. Truthahn mit Curry. Schmeckt mir am besten. Machen sie aber nur alle vierzehn Tage. Leider.
Sie kam mit der Kaffeekanne, ertastete die Tassen und schenkte ein, beide Tassen fast gleichmäßig voll. Sie trank und lauschte. Zu hören war eine ferne Unruhe im Hause, ein Rauschen, aus dem nur hin und wieder ein einzelnes Geräusch deutlich wurde, das Schlagen einer Tür, das Anfahren des Fahrstuhls, Stimmen, quietschende Schritte auf dem genoppten Kunststoffbelag des Flurs.
Geschickt trennte sie mit der Gabel mundgerechte Ecken von ihrer Marzipantorte, vor jedem neuen Bissen tastete sie sich mit der Gabel bis zum Ende des Tortenstücks, um sich dann ein Stück abzuspachteln. Sie lutschte diese Happen regelrecht, und beim Lutschen kam etwas in ihr Gesicht, eine Genußfähigkeit, die verständlich machte, was man sonst mit dieser gebückten alten Frau nicht in Zusammenhang bringen konnte, eine dem Willen entzogene Lust, ein den Körper verwandelndes Genießen. Dann sah ich das schlechtsitzende, beim Kauen sich verschiebende Gebiß, und ich dachte an Versehrtheit und an das Wort Prothese. Wie war das mit dem Curry von Bremer?
Bremer fragte, als er den Reis sah, ob ich n bißchen Curry hätte, dann könne er Curryreis machen.
Wie kam er auf Curry?
Der Bremer war kurz vor dem Krieg als Maschinenassi mit einem Dampfer nach Indien gefahren, sagt sie und schiebt sich ein Stück Marzipantorte in den Mund. Sie kaut. Ein schweigendes Genießen. Dann ißt sie ein Stückchen von dem Gouda. Der Dampfer, Dora hieß er, lag auf der Reede vor Bombay. Und Bremer, damals gerade achtzehn Jahre alt, hatte son fürchterlichen Hitzeausschlag im
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