Die Entdeckung der Currywurst
Straßenkämpfen kommt, wie in Berlin, Breslau und Königsberg. Häuser, die von Mörsern plattgemacht werden, zähe Brände, Bajonettkämpfe in der Kanalisation.
Aber dann, am Karl-Muck-Platz, dachte sie daran, daß sie das ja auch Bremer sagen mußte: Der Krieg ist aus! Hamburg hat kapituliert. Er wird, stellte sie sich vor, wenn ich es sage, erst stutzen, er wird dann, wenn er sitzt, aufstehen, wenn er steht, wird er die Hände heben, sein Gesicht wird sich verändern, die Augen, diese hellgrauen Augen, werden dunkler werden, er wird, dachte sie, strahlen, ja strahlen, kleine Falten werden sich um die Augen bilden, Falten, die man sonst nicht sehen kann, eben nur, wenn er lacht. Er wird mich womöglich packen und durch das Zimmer wirbeln, er wird rufen: Wunderbar, oder, das ist wahrscheinlicher: tosca. Etwas Kindliches ist, wenn er sich freut, an ihm. Und kindlich ist auch sein Zuhören, dieses staunende Ach was, das er hervorstößt, wenn ich ihm etwas erzähle. Er wird noch dableiben, voller Ungeduld, denn noch konnte man ja nicht auf die Straßen. Es gab Sperrstunden. Die Züge würden noch nicht fahren. Die Engländer würden die Straßen kontrollieren. Er wäre hier, aber schon nicht mehr hier, in allem, was er macht, wäre er immer schon auf dem Sprung, weg, nach Braunschweig. Das ist, wie es ist, dachte sie, daran war nichts zu ändern, das war, wenn sie daran dachte, wie ein Schatten, der sie ihr weiteres Leben ohne Blendung sehen ließ. Es war ein Abschnitt ihres Lebens, aus dem sie normalerweise kaum merklich herausgeglitten wäre. Es war eine kurze Zeitspanne gewesen, ein paar Tage nur, aber damit ging in ihrem Leben etwas endgültig zu Ende. Jugend konnte sie nicht sagen, denn jung war sie ja nicht mehr, nein, sie würde danach alt sein. Und vielleicht war es eben diese ruhige Gewißheit, die bei ihr eine Unruhe, ja, eine Wut auslöste, die Vorstellung, daß er sich den Anzug ihres Mannes ausborgen würde. Ein ganz naheliegender und verständlicher Wunsch, der sie aber dennoch empörte.
Er würde sagen: Ich schicke ihn zurück, sobald ich kann. Ich werde ein Paket schicken, würde er sagen, sobald man wieder Pakete schicken kann. Er würde an sie denken, dann aber immer in Verbindung mit einem lästigen Paket, das zur Post getragen werden mußte. Ein Anzug, der darauf wartete, zusammengelegt zu werden, was wahrscheinlich seine Frau tun würde, sorgfältig und, wenn vorhanden, mit etwas Seidenpapier ausgepolstert. Er würde das Paket zur Post tragen. Er würde seiner Frau eine Geschichte erzählen. Er würde sagen, nach der Kapitulation habe er sich diesen Anzug von einem Kameraden ausgeliehen. Er kann nicht gut lügen, weil er nicht gut erzählen kann. Er kann nur gut verschweigen. Das kann er. Ihr Mann konnte lügen, weil er wunderbar erzählen konnte. Bremer würde also eine sparsame Geschichte erzählen, vielleicht so, er habe sich im letzten Moment von der Truppe absetzen können, zusammen mit einem Kameraden. Er wird ihm einen Namen geben, Detlefsen, aus Hamburg, eine Wohnung in Hamburg in der Nähe des Hafens, Marinetaucher. Bei dem waren sie untergeschlüpft. Eine Frau, die eine wunderbare falsche Krebssuppe kochen konnte. Nein, dachte sie, er wird mich nicht erwähnen, oder vielleicht – aber diesen Gedanken schob sie schnell beiseite – sagen, der Kamerad hatte eine Mutter, die gut kochen konnte. Nein, dachte sie, sie haßte den Gedanken an dieses Paket, sie dachte, er hat mich nicht direkt belogen, er hat mir nur nicht gesagt, daß er verheiratet ist, aber sie haßte dieses Paket und den Gedanken, daß er sie, wenn er in Zukunft an sie denken würde, mit diesem Paket verbinden würde. Sie schloß die Tür auf, rief nicht: In Hamburg ist der Krieg aus. Schluß. Aus und vorbei. Sie sagte nur: Hitler ist tot. Einen winzigen Augenblick, erzählte sie mir, habe sie gezögert, wollte sagen, der Krieg ist aus, hier, in Hamburg, aber da hatte er sie schon in die Arme genommen, geküßt, hatte sie auf das Sofa gedrückt, dieses durchgesessene Sofa. Vielleicht hätte ich es ihm danach gesagt. Es wäre einfach gewesen, aber dann sagte er: Jetzt gehts gegen die Russen, zusammen mit den Amis und den Tommys. Und er rief: Ich hab einen Bärenhunger.
Sie stellte den Topf mit der Erbsensuppe zum Aufwärmen auf den Kanonenofen.
Irgendwie hatte er neugierige Hände, sagte sie, nein, nicht unangenehm, im Gegenteil. Er war wirklich ein guter Liebhaber. Einen Moment habe ich gezögert, überlegte, kann man
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