Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Entdeckung der Currywurst

Die Entdeckung der Currywurst

Titel: Die Entdeckung der Currywurst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
Vom Netzwerk:
diese Frau, die fast siebenundachtzig ist, fragen, was sie damit meine, ein guter Liebhaber.
    Ob ich sie etwas Persönliches fragen dürfe? Immerzu. Was meinen Sie mit: guter Liebhaber? Sie hörte einen Moment auf zu stricken. Er ließ sich Zeit. Ließen uns lange treiben. Und er konnte es oft. Na ja, und dann zögerte sie doch etwas, eben auch unterschiedlich. Ich nickte mit dem Kopf, obwohl sie das nicht sehen konnte – und obwohl mich, das will ich gern gestehen, dieses unterschiedlich interessierte, auch, ich würde sonst lügen, das wie oft. Ich habe nicht nachgefragt. Wonach ich sie aber gefragt habe, war, ob sie ein schlechtes Gewissen gehabt habe, Bremer nichts von der Kapitulation zu sagen.
    Ja doch, sagte sie, doch, am Anfang, die ersten Tage, da hat sie immer wieder mit sich ringen müssen, nicht einfach mit der Wahrheit herauszuplatzen. Und natürlich später, aber das war dann eine andere Geschichte. Aber so inner Mitte, eigentlich nicht. Nee, da hats mir, ja, hats mir Spaß gemacht, wenn ich mal ganz ehrlich bin. Dabei hab ich nie gern gelogen. Tatsache. Schwindeln, klar, hin und wieder. Aber Lügen, hat meine Mutter immer gesagt, Lügen machen die Seele krank. Aber manchmal macht das Lügen auch gesund. Ich denk, ich hab was verschwiegen, und er hat was verschwiegen: seine Frau und sein Kind.
    Ja, sagte sie. Er ging auf Socken. Der Krieg in Hamburg war aus und vorbei. Aber er geht weiterhin leise auf Socken herum. Es wurde nicht mehr gekämpft, und ich hatte einen in der Wohnung, der auf Strumpfsocken herumschlich. Nicht, daß ich mich über ihn lustig gemacht hab, aber ich fand ihn komisch. Sie lachte. Wenn man jemanden komisch findet, muß man nicht aufhören, ihn gern zu haben, aber man nimmt ihn nicht mehr so furchtbar ernst.
     
    Am nächsten Morgen, sie ging die Treppe hinunter, unten stand Blockwart Lammers, ganz erstarrter Ernst: Adolf Hitler ist tot. Er sagte nicht, der Führer ist tot. Er sagte, Adolf Hitler ist tot. So als könne der Führer gar nicht sterben, eben nur Adolf Hitler. Haben Sie es nicht gehört? Es kam über Rundfunk. Dönitz ist sein Nachfolger, der Großadmiral Dönitz, verbesserte er sich. Sie können nicht raus, heute nicht, die Engländer haben ein Ausgehverbot erlassen. Die Engländer sind schon im Rathaus, der Stadtkommandant General Wolz hat die Stadt kampflos übergeben. Kampflos, also ehrlos, sagte er und starrte sie aus seinen blauen hervorquellenden Augen an. Sie können ja weiterkämpfen, Herr Lammers, als Werwolf, sagte Lena Brücker. So, und jetzt geben Sie mal den Wohnungsschlüssel her. Einen Luftschutzwart brauchen wir ja nun nicht mehr. Da zuckte es um den Mund von Lammers, und es kam ein Stöhnen aus diesem katasteramtlichen Mund, ein Ächzen, ein Greinen. Er pulte den Schlüssel aus dem Bund. Sie ging die Treppe hinauf, hörte hinter sich: Ideale, Verrat, Verdun, Vaterland, Speckritter, und dann, kaum noch verständlich, Immerintreuejawoll.
    Oben schloß sie die Tür auf. Bremer kam aus der Kammer, bleich und im Gesicht den Schreck, ich dachte, da kommt jemand, der Blockwart. Nee, sagte sie, der steht unten, hat für die im Kampf Gefallenen Trauer geflaggt.
    Verlieren wir den Krieg, verlieren wir unsere Ehre, sagte Bremer. Unsinn, auf die Ehre pfeif ich, sagte Lena Brücker. Der Krieg ist bald aus. Dönitz ist der Nachfolger von Hitler.
    Der Großadmiral, sagte Bremer, jetzt wieder Bootsmann mit Narvikschild und EK II. Das ist gut. Hat Dönitz mit den Amerikanern verhandelt? Mit den Engländern? Geht es endlich gegen Rußland?
    Er legte ihr die Antwort regelrecht in den Mund. Ja, ich glaube, ja, sagte Lena Brücker und war so weit nicht von der Wirklichkeit entfernt, denn Himmler ließ über einen schwedischen Mittelsmann den Alliierten ein Angebot machen: ein Separatfrieden mit England und den USA, um sodann gemeinsam gegen Rußland zu marschieren. Wir brauchen eben das: Jeeps, Corned beef und Camels.
    Klar, sagte Bremer, Dönitz macht das. Ja, sagte sie, obwohl der zu dem Zeitpunkt noch nicht verhandelte, sondern Durchhaltebefehle in alle Welt funken und Fahnenflüchtige erschießen ließ. Bremer starrte auf das Kreuzworträtsel. Pferd mit Flügeln: sieben Buchstaben. Sonnenklar. Er blickte hoch, endlich, sagte er, endlich ist Churchill aufgewacht. Jetzt, sagte er und stand auf, gehts gegen die Russen. Ein Verhandlungsfriede mit dem Westen, sonnenklar, sagte er schon wieder. Sie verstand nicht. Er war aufgestanden, er hatte gesagt, hier, und legte den

Weitere Kostenlose Bücher