Die Entdeckung der Landschaft - Einführung in eine neue Wissenschaft
Gewässern mit geringem Gefälle legte man Stauanlagen an, sogenannte Fischwehre, wo man besonders gut Fisch fangen konnte.Strömte Wasser über die Stauanlage, entstanden unterhalb davon sauerstoffreiche Strudel, in denen sich Fische sammelten. Man konnte sie dort mit besonders gutem Erfolg fangen. Aus solchen Siedlungen könnten die vor allem im Gebiet um Elbe und Oder charakteristischen Kietzsiedlungen hervorgegangen sein. [121]
Geschichtsschreiber, die innerhalb von weiterhin bestehenden staatlichen Strukturen lebten, charakterisierten die Epoche zwischen dem Rückzug der Römer aus weiten Teilen Europas und dem beginnenden Mittelalter als Völkerwanderungszeit. Mit diesem Begriff kann aus landschaftsgeschichtlicher Sicht kaum gemeint sein, dass ganze Völkerschaften quer durch Europa wanderten, denn es wäre unmöglich gewesen, «wandernde Völker» auf ihren Wanderzügen mit genügend Nahrungsmitteln zu versorgen. Viel eher ist anzunehmen, dass «Wanderungen» auf kurzen Strecken stattfanden, von einem aufgegebenen Siedelplatz zu einem in der Nähe liegenden neuen Ort. Allenfalls könnte man sich vorstellen, dass einzelne Menschen, die zuvor bereits im Einzugsbereich einer Infrastruktur gelebt hatten, dorthin zogen, wo eine sichere Versorgung weiterhin bestand – entsprechend zu den als «Angeln und Sachsen» bezeichneten Menschen, die vom europäischen Kontinent auf die britischen Inseln zogen.
Krisen betrafen aber auch das römische Mutterland; ein Teil davon mag auf Probleme bei der Landnutzung zurückgegangen sein. Vor allem scheint es zu einem erheblichen Mangel an nutzbarem Holz gekommen zu sein. Wälder in den Randgebirgen des Mittelmeergebietes waren abgeholzt worden; sie regenerierten sich anschließend nicht nach natürlichen Mechanismen, vielleicht weil die Nutzung von Brennholz fortgesetzt wurde oder man Tiere auf den Flächen weiden ließ. Auch Hirten, die nicht in das Staatswesen integriert waren, kamen mit ihren Tieren an solche Orte und trugen zur Erosion von Land bei. Vielerorts wurde die flachgründige Bodenkrume abgeschwemmt; diese Gefahr bestand vor allem bei heftigem winterlichem Regen in den Mittelmeerländern, etwa im dafür besonders empfindlichen dalmatischen Karstgebirge, wo an einigen Orten exorbitant hohe Niederschlagssummen gemessen werden.
Endgültige Ausbreitung von dauerhafter bäuerlicher Besiedlung: das mittelalterliche Dorf
Einige Jahrhunderte nach dem Zusammenbruch des weite Teile Europas umfassenden Römischen Reichs breiteten sich, wohl vor allem ausgehend von noch vorhandenen Zellen der Infrastruktur im heutigen Frankreich, erneut staatliche Strukturen in Mitteleuropa aus. Nun wurde dort das Landnutzungssystem der nur kurze Zeit bestehenden Siedlungen und der nach einigen Jahrzehnten wieder verlassenen Wirtschaftsflächen endgültig aufgegeben. Dabei wirkten offenbar staatliche Autoritäten mit der christlichen Kirche zusammen. In den Siedlungen errichtete Kirchen wirkten stabilisierend auf die Orte. Dabei spielte vielleicht eine Rolle, dass Gotteshäuser, die einem der zahlreichen Heiligen gewidmet waren, nicht wieder aufgegeben werden sollten; daher blieben auch die Siedlungen bei den Kirchen bestehen. Einige dieser Orte könnten aus Siedlungen hervorgegangen sein, die ursprünglich nicht für einen dauerhaften Bestand gegründet worden waren. Anstelle von römischen Villen gab es nun Weiler. In einem Weiler lebten wohl etwa ähnlich viele Menschen wie in einer Villa; das mag dazu geführt haben, dass man den Begriff «Weiler» aus dem lateinischen Begriff «villa» ableitete. In römischen Villen lebten unfreie und mittellose Landarbeiter; sie waren kaserniert und konnten keine Familien gründen. Dagegen bewohnten die Menschen in einem Weiler einzelne Gebäude, und zwar im Familienverband. Sie konnten in bescheidenem Umfang Eigentum erwerben. Dies trug zur Überlegenheit mittelalterlicher Siedlungen gegenüber antiken Vorläufern bei. [122]
Andere Siedlungen mögen später neu gegründet worden sein, wobei man wohl mehrere kleine Weiler zu größeren Kirchdörfern vereinigte. Möglicherweise ausschließlich regionalen Moden folgend oder auf Anordnung von obrigkeitlich eingesetzten Landesherren erhielten neu gegründete Siedlungen spezielle Formen. Besonders weite Verbreitung fanden unregelmäßige Haufendörfer
(Abb. 13–3)
. Oft entwickelten sich in ihnen Meierhöfe, in denen der jeweils mächtigste Bauer saß; über ihn wurden Abgaben an die Grundherren
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