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Die Entdeckung der Landschaft - Einführung in eine neue Wissenschaft

Die Entdeckung der Landschaft - Einführung in eine neue Wissenschaft

Titel: Die Entdeckung der Landschaft - Einführung in eine neue Wissenschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Einfluss feste Siedlungen; dort wurden wie in Italien Villen gebaut, von denen aus man eine großräumige Landwirtschaft betrieb. Das gesamte Gebiet des römischen Imperiums wurde durch Schutzanlagen (Hadrianswall, Limes) gegen Regionen abgegrenzt, in denen keine Zivilisation herrschte. Am Limes stieß das Gebiet mit Infrastruktur an das ohne Infrastruktur. Auf der einen Seite des Grenzwalls wurden Siedlungen nicht mehr aufgegeben, so dass es nicht mehr zu Sekundärsukzessionen von Wald kam, auf der anderen Seite wurde die Entwicklung der Landschaft weiterhin davon geprägt.
Einbeziehung von «jung besiedeltem Land»
    Über die Infrastruktur des Handels gelang es, auch Regionen in den permanent besiedelten Raum einzubeziehen, in denen die Voraussetzungen für eine dauerhafte Grundversorgung der Menschen nicht oder nicht immer gegeben waren, beispielsweise im hohen Gebirge, wo die klimatischen Bedingungen nicht jedes Jahr das Einbringen einer guten Ernte ermöglichten, und in den Marschen an der Nordseeküste, wo das Land gelegentlich von Salzwasser überflutet wurde und daher keine Bäume wuchsen. Daher gab es dort kein Holz zum Hausbau und zum Heizen. In solchen Gegenden mussten Handelsgüter bereitgestellt werden, die man gegen Korn und Holz tauschen konnte: Erz aus dem Gebirge sowie Vieh, Wolle und Milchprodukte aus den Marschen.
    Hier wird ein Gegensatz zwischen Altsiedelland, das auch ohne Bestehen einer Infrastruktur besiedelt werden konnte, und einem jung besiedelten Land deutlich, in dem nur dann Menschen lebten, wenn sie über Warentausch mit ihnen fehlenden Grundversorgungsgütern beliefert werden konnten. Robert Gradmann unterschied grundsätzlich zwischen alt- und jungbesiedeltem Land. [118] Allerdings bezog er diesen Gegensatz vor allem auf Kernregionen der Landwirtschaft (altbesiedeltes Land) und höher gelegene Gebirge mit steinigen Böden, die schwer zu bearbeiten waren (jungbesiedeltes Land), vornehmlich in Südwestdeutschland. Heute lässt sich in Einzelfällen schwerer als vor einigen Jahrzehnten entscheiden, ob eine Gebirgsregion bereits «alt» besiedelt war, also ohne dass eine Infrastruktur bestand, oder ob es abhängig von Siedelzentren erst in der Römerzeit oder im Mittelalter zur Besiedlung kam.
    Besser zu entscheiden ist dies im Fall der Küstenregionen. In römischer Zeit wurden Marschländer nördlich und östlich der Rheinmündung zwar nicht Teile des Imperium Romanum, aber standen wirtschaftlich doch unter dessen Einfluss. Das zeigen die zahlreichen importierten Handelsgüter, die in diesen Gebieten gefundenwurden. [119] Weil offensichtlich Handelsbeziehungen bestanden, wurde Holz in die Marschen an der Küste gebracht. Daher konnten Menschen in diesem baumarmen Gebiet siedeln. Sie bauten Häuser aus Holz, zunächst zu ebener Erde, dann auf künstlichen Hügeln, den Warften oder Wurten
(Abb. 2–4)
. Dorthin konnten sie sich selbst und ihr Vieh in Sicherheit bringen, wenn hohe Fluten das Land überspülten. Einige Siedlungen in den Marschen bestanden erheblich länger als Ansiedlungen im Binnenland; die Wurtensiedlung Feddersen Wierde bei Bremerhaven wurde vom 1. bis zum 5. Jahrhundert nach Chr. besiedelt, also genauso lange, wie der römische Einfluss auf Mitteleuropa anhielt. [120]
Der Rückschlag der «Völkerwanderungszeit»
    Danach wurden nicht nur die Feddersen Wierde, sondern auch zahlreiche andere Wurtensiedlungen verlassen. Offenbar konnte der waldfreie Küstenraum nicht mehr besiedelt werden, als kein Holz mehr über eine Infrastruktur zu den Siedlern gebracht wurde. Regionen an der Küste gehören somit zu den wenigen, die im Lauf der Siedlungsgeschichte in Mitteleuropa wieder verlassen wurden, nachdem dort die Besiedlung einmal eingesetzt hatte. In der Geschichtsschreibung wird berichtet, dass Küstenbewohner an der Nordsee im 5. Jahrhundert nach Chr. nach England gefahren seien und sich dort neu angesiedelt hätten. Dort konnte die Infrastruktur wohl besser aufrechterhalten werden als an den flachen Küsten der Deutschen Bucht.
    Insgesamt ließ in Mitteleuropa die Kraft der Infrastruktur nach. Vielerorts, wo bereits eine staatliche und wirtschaftliche Ordnung mit einer dauerhaften Besiedlung installiert worden war, kehrte man zum alten Muster der Siedlungen zurück, die nach einigen Jahrzehnten aufgegeben bzw. verlagert wurden. In einzelnen Fällen wurden Siedlungslagen wieder aufgesucht, an denen bereits Jahrtausende zuvor Jäger und Sammler gelebt hatten: An

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