Die Entdeckung der Landschaft - Einführung in eine neue Wissenschaft
nach einer Phase der dauerhaften Besiedlung in weiten Teilen Europas nochmals das System der nicht permanenten Bewirtschaftung von Land durchsetzte, nämlich in der Völkerwanderungszeit, die begann, als die Stärke des Imperium Romanum abnahm.
Der Perfektionsgrad, mit dem eine dauerhafte Nutzung von Land betrieben wurde, nahm im Lauf der Jahrtausende zu, als dasSystem auf immer neue Räume am Mittelmeer und in Europa ausgriff. Doch nirgends gelang es, das System tatsächlich auf Dauer aufrechtzuerhalten. Auf politische, wirtschaftliche und kulturelle Blütezeiten folgten Phasen des Niedergangs, die unter anderem durch verschiedene ökologische Probleme ausgelöst wurden: durch Bodenversalzung, Rückgang von Erntemengen, Erosion, Abholzung von Wald sowie Naturkatastrophen, bei denen sich natürliche Kräfte als stärker erwiesen als die von Menschen errichteten Strukturen, die vor ihnen schützen sollten.
Zahlreiche Strukturen, die unter den Bedingungen des Systems dauerhafter Siedlungen und dauerhafter Bewirtschaftung von Land angelegt worden waren, entwickelten eine
longue durée
bis in unsere Tage. Dazu gehören Bauwerke aus frühen Phasen von Hochkultur, im Nahen Osten, in Ägypten, im Mittelmeergebiet und in weiten Teilen von Europa. Grundmuster der Topographie blieben bestehen: Viele Städte im Orient, am Mittelmeer, erst recht später in das System integrierte Städte in Europa befinden sich immer noch dort, wo sie bereits vor Jahrhunderten oder Jahrtausenden lagen. Das gilt selbst für viele ländliche Siedlungen. Zwar wird immer wieder auch auf Wüstungen verwiesen, auf Siedlungen, die im Lauf der Zeit verlassen und aufgegeben wurden. Doch die Regel war dies nicht: Die meisten Siedlungen entwickelten eine erstaunliche
longue durée
bis in heutige Tage. Die Straßennetze vieler Orte, vor allem der Städte, wiesen bereits zur Zeit der Siedlungsgründung Grundmuster auf, die sich auf Dauer erhalten haben; das lässt sich beispielsweise in den schon zu römischer Zeit gegründeten Städten Köln, Augsburg und Regensburg erkennen. Grenzbauwerke wie der Limes und der Hadrianswall kann man heute ebenso noch erkennen wie Spuren früherer Verkehrswege, von römischen Straßen sowie von Fernwegen des Mittelalters, beispielsweise des Hellwegs. Standorte von Mühlen und Dämmen sind oft Überreste aus dem Mittelalter, ebenso wie die Seen, die damals gestaut wurden. Sie konnten beträchtliche Ausmaße annehmen. Besonders groß ist der Mälarsee als «Mühlteich» Stockholms; die Havel wurde durch Mühlenstauanlagen in der Stadt Brandenburg bis an den Stadtrand des heutigen Berlin aufgestaut,so dass aus einem schmalen Fluss ein breiterer See wurde, den man auch für einen breiteren Fluss halten könnte. Doch dieses Gewässer hat so gut wie kein Gefälle, seine Bezeichnung als See ist also aus ökologischer Sicht korrekt.
Neue Formen der Nutzung von Land, beispielsweise in eingedeichten Seemarschen oder auf terrassierten Äckern, aber auch auf bewässerten Wiesen, führten zur Ausbildung von neuen Typen von Pflanzenstandorten, an denen sich bisher nicht in einem Gebiet vorkommende Tier- und Pflanzenarten ausbreiten konnten. Pflanzen sehr warmer Standorte wie das Adonisröschen und der Klettenkerbel sind erst seitdem auch in Mitteleuropa einheimisch. [135]
Durch die lange andauernde und intensive Nutzung wurden viele Standorte, vor allem deren Böden, erheblich und auf Dauer verändert: Manche vor Jahrtausenden bereits versalzenen Böden lassen sich bis heute nicht wieder agrarisch nutzen. Entwaldung von Gebirgen am Rand des Mittelmeergebietes führte zu erheblicher Erosion; denn bei starken winterlichen Niederschlägen wurde weithin die Bodenkrume abgetragen. Bei der Ackernutzung wurden vielen Böden Mineralstoffe entzogen. Wenn man heute Spuren früherer ackerbaulicher Nutzung unter Wald findet, vor allem Überreste von Wölbäckern und Ackerterrassen, verweist das darauf, dass irgendwann die agrarische Nutzung aufgegeben wurde, weil sie sich nicht mehr lohnte. Man entschloss sich, diese Flächen aufzuforsten, doch bedenkt man oft bis heute nicht, wie sehr diese Flächen von einer Auszehrung an Mineralstoffen während der früheren Ackernutzung geprägt wurden, so dass auch die Versorgung der Bäume mit lebensnotwendigen Mineralstoffen problematisch sein könnte. Viele Bäume in aufgeforsteten Wäldern dürften auch aus diesem Grund Symptome von Schädigung aufweisen, zumal wenn sie bereits ein höheres Alter erreicht
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