Die Entdeckung der Landschaft - Einführung in eine neue Wissenschaft
haben. Besonders erheblich war die Bodenverarmung auf Heideflächen, die für die Gewinnung von Plaggen genutzt wurden.
Eine
longue durée
entwickelten neben den Staatsformen auch die im Rahmen dieses Systems entstehenden Wirtschaftsstrukturen. Die unterschiedlichen Grundmuster des Handels am Mittelmeer und im Ostseeraum sowie auf Überlandwegen ergaben sichunter den Bedingungen des Systems dauerhafter Siedlung; die Spuren davon prägen sich ebenfalls in der Landschaft aus. Die sich etablierenden Infrastrukturen waren stets auf mögliche Erweiterungen ausgerichtet. Jede Ausweitung einer Infrastruktur stärkte sie und sicherte sie gegenüber Störung von außen ab. In den Staaten, von denen die Infrastrukturen aufgebaut wurden, unterschied man dabei nicht zwischen Gebieten, in denen es noch keine Infrastruktur gab, und anderen, in denen eine abweichende Infrastruktur aufgebaut war. Beide Gebiete unterwarf man dadurch, dass man sie mit seiner eigenen Infrastruktur überzog.
Zur Zeit der Vorherrschaft des Systems und im Rückblick darauf entwickelten sich zahlreiche Metaphern, die in der Literatur, aber auch in mündlich tradierten Sagen und Märchen überliefert sind. Die antiken Kulturen mit ihren Helden und Monumenten wie den Sieben Weltwundern erfuhren eine ähnliche Verherrlichung wie das Mittelalter. Immer wieder beobachtete man argwöhnisch, dass einzelne Menschen oder Gruppen rasch reich wurden, nicht zuletzt auf Kosten der Umwelt. Es wird von Notzeiten des Mittelalters berichtet und der Unterdrückung von Bauern. Abgaben an die Grundherren werden vor allem mit Repressalien gegenüber den Bauern in Verbindung gebracht. Dies traf sicher oft zu, aber in solchen Erzählungen wird nicht bedacht, dass sich die Kultur der Städte und Klöster nicht ohne Abgaben entwickeln konnte.
Die Etablierung fester Siedlungs- und Wirtschaftsstrukturen bzw. deren Abwehr führte in vielen Fällen zum Aufkommen nationaler Gründungsmythen. Beispielsweise wird seit den Konflikten der Römer mit der einheimischen Bevölkerung in Mitteleuropa behauptet, daran sei eine germanische oder deutsche «Nation» beteiligt gewesen. Dies ist erst sehr viel später so gesehen worden; in der Zeit um Christi Geburt wird es einzig und allein für wichtig gehalten worden sein, sich gegen die Ausbreitung eines nicht vertrauten Infrastruktursystems zu stellen. Um einen Krieg einer Nation gegen eine andere ging es jedenfalls damals nicht, denn im System nicht dauerhaft bestehender Siedlungen und Wirtschaftsstrukturen lebende Menschen bildeten weder einen Staat oder eine Nation, noch hatten sie eine Regierung oder einen Feldherrn.
14 Landschaften des Reformzeitalters
Die Überwindung einer Landnutzungskrise
Landnutzungskrisen am Ende des Mittelalters führten nicht wie in früheren Zeiten zur Verlagerung von Schwerpunkten der Zivilisation, sondern sie wurden durch ein ganzes Bündel von Innovationen in dem Gebiet gelöst, in dem sie entstanden waren. Diese Innovationen bedingten und stützten sich gegenseitig, und zwar mit dem Ergebnis, dass die Landnutzung komplett umgestellt und Landschaft tiefgreifend verändert wurde. Wissenschaftliche Erwägungen und ästhetische Gesichtspunkte wirkten darauf ein; Aspekte von Aufklärung und ein neu aufkommendes Bewusstsein für Landschaft spielten dabei eine wesentliche Rolle.
Wurzeln der Landreformen
Reformen der Lebensweise und der Landnutzung gingen von verschiedenen Ländern West- und Mitteleuropas aus. Vor allem in Norditalien und den Niederlanden strebte man schon während des Mittelalters eine profitablere Landbewirtschaftung an. Land am Wasser, das zuvor wegen der immer wieder drohenden Überschwemmungen nicht oder nur extensiv genutzt worden war, wurde besser nutzbar gemacht. Marschgebiete an Flüssen und Meeren wurden von Dämmen oder Deichen umgeben. Danach war man in der Lage, durch die Bestellung von ausnehmend fruchtbarem Land Überschüsse an Agrarprodukten zu erwirtschaften, die man auf städtischen Märkten absetzen konnte. [136] So wurden Marschländer besser in wirtschaftliche Infrastrukturen eingebunden. In den Niederlanden entwickelte sich nach deren Loslösung von Spanien besonders großer Wohlstand: Dort war ein «GoldenesZeitalter» genau zu der Zeit angebrochen, als weite Teile des übrigen Europas unter den Wirren und Krisen des Dreißigjährigen Krieges zu leiden hatten. [137]
Abb. 14-1 Der strikt formal gestaltete Große Garten von Hannover-Herrenhausen.
Seit der zweiten Hälfte
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