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Die Entdeckung der Langsamkeit

Die Entdeckung der Langsamkeit

Titel: Die Entdeckung der Langsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sten Nadolny
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der Liebe am meisten das Entdecken, wurde sie pathetisch
und persönlich zugleich, eine ungute Mischung. »Ich hätte dem großen Sieger
über Hunger und Eis nicht so nahe kommen sollen! Was von weitem wie Kraft
aussieht, ist von nahem gesehen Logik und Pedanterie.« Franklin überlegte.
Weder am Reden noch an ihrem Zorn wollte er sie hindern. Aber wenn sie ihn nun
ganz anders haben wollte, als er war?
    Â»Ich muß so sein! Ohne Vorbereitung und feste Regeln herrscht in
meinem Kopf das Chaos – eher als in deinem.«
    Â»Darum geht es nicht!« antwortete Eleanor. Dieser Satz machte
Franklin Sorge, denn seit der Zeit mit Flora Reed wußte er nur zu gut: ein
Streit, bei dem einer dem anderen erklärte, worum es ging, war ausweglos.
    In den Tagen bis zu ihrer Abreise hustete Eleanor noch stärker, las
Mary Shelleys »Frankenstein« und, was noch schlimmer war, sie sprach nur noch
ganz wenig.
    Kaum war sie fort, starb der Vater. Es war, als habe er damit nur
gewartet, bis die Luft rein wäre.
    Das Leben verging jetzt wirklich zu rasch. Franklin litt
darunter. »Es ist durchaus gegen meine Ehre«, schrieb John Franklin an Sir John
Barrow, »Ruhm für etwas zu ernten, das weder gelungen noch zu Ende geführt ist.
Mein Beruf ist es, gute Seekarten herzustellen für die Wohlfahrt im einzelnen.
Jetzt aber hat von mir niemand etwas. Ich sitze in London, gebe
Zeitungsinterviews und rede auch sonst ständig mit Leuten, mit denen ich nur
Termine gemeinsam habe. Ich bitte in aller Bescheidenheit, Sir, geben Sie mir
ein neues Kommando! Ich glaube, daß ich die Nordwestpassage finden kann.«
    Eleanor bekam das Kind, und John das Kommando, beides am selben Tag.
Eine neue Landreise sollte diesmal den Großen Fluß im Norden Kanadas
hinabführen und von dessen Mündung aus west- und ostwärts mit geeigneten Booten
fortgesetzt werden. Franklin traf sich sofort mit Richardson und sprach über
Mannschaft und Ausrüstung. George Back hatte Wind davon bekommen und wollte
wieder mit dabei sein. Franklin und Richardson berieten sich. Sie fanden, daß
sie Back einiges schuldig seien und seiner Karriere nicht im Weg stehen
wollten. »Daß er Männer liebt, tut nichts zur Sache, er soll mitkommen!« Dann
fragte Richardson, ob Franklin seine kränkelnde Frau und das Kind ohne weiteres
werde verlassen können.
    Franklin antwortete nur: »Es wird gehen.« Er fand es überflüssig,
Richardson alles mitzuteilen oder gar Klage zu führen. Planen und Handeln war
der Beruf einer Freundschaft, alles andere verfälschte sie nur.
    Das Kind war ein Mädchen und wurde auf den Namen Eleanor
Anne getauft. Die Freunde kamen zu Besuch. Franklin sagte: »Das ist Ella!« Die
Kleine strampelte herum und schrie mörderisch. Sie wollte offenbar nicht
beurteilt werden. Hepburn sah in die Wiege und wagte schließlich doch einen
Kommentar: »Sie sieht aus wie der Kapitän, wenn man ihn durchs verkehrte Ende
eines Fernrohrs betrachtet.« Das fand Franklin für seine Tochter wenig
schmeichelhaft, aber er schwieg. Gleich danach waren sie wieder mitten in den
Reisevorbereitungen.
    Eleanor war ernstlich krank. Die Ärzte kamen und gingen,
die Diagnosen widersprachen sich, der Husten blieb. Die Krankheit brachte die
Liebe nicht zurück, aber sie machte John barmherzig gegen Eleanors kleine
Tücken, die ihr ohnehin nicht viel nutzten. Ihre Versuche, John durch
Verletztheiten und Vorwürfe zu regieren, verfingen nicht. Er saß an ihrem Bett,
hörte ihr freundlich und schuldbewußt zu und dachte konzentriert an Pemmikan,
Schneeschuhe, Wasserfälle und Teevorräte.
    Kurz vor dem Abschied entdeckte Eleanor sich als die hingebungsvolle
Gattin eines bedeutenden Forschers, sie ging ganz in seinen Zielen auf und war
ihm durch die Tiefe dieser Hingabe ebenbürtig. Keinesfalls, sagte sie, dürfe er
ihretwegen zurückbleiben, unter keinen Umständen die Nordwestpassage auf dem
Altar der Ehe opfern. In mühseliger Arbeit nähte und bestickte sie eine große
englische Fahne, die Hände vom Krankenbett emporgereckt. Immer wieder fiel ihr
die Nadel ins Gesicht, es war wirklich keine leichte Arbeit. Als sie fertig
war, faßte sie Johns Hand und sprach: »Fahr hinaus, Löwenherz! Enthülle die
Fahne am stolzesten Punkt deiner Reise!« »Gern«, murmelte er, »herzlich gern«,
und glaubte plötzlich ganz sicher zu wissen, daß

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