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Die Entdeckung der Langsamkeit

Die Entdeckung der Langsamkeit

Titel: Die Entdeckung der Langsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sten Nadolny
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und
rief strahlend: »Ich kann’s!« Er hatte es oft versucht, aber nicht gekonnt. Wie
kam es, daß er das hatte lernen können? Konnte man doch schneller werden, als
man war? Franklin hatte für Notfälle seinen starren Blick, aber der verlieh
Schnelligkeit durch Auswahl, nicht aber eine geschwindere Reaktion. »Wie haben
Sie das gemacht, Mr. Back?« fragte er. »Es ist sehr einfach, Sir, Sie dürfen an
nichts denken als an dieses eine.« »Das kann ich«, sagte Franklin, »aber wenn
ich mich auf eine einzige Sache konzentriere, dann heißt das: sie geht mir in den
Gedanken herum, bis mein ganzer Kopf sie genau kennt.« »Das ist es eben gerade
nicht!« entgegnete Back. »Es darf nur ein kleiner Teil des Gehirns beteiligt
sein, der mit dem Zustoßen zu tun hat. Versuchen Sie es doch einmal!« Franklin
zögerte.
    Â»Ich muß mir erst genau überlegen, ob das geht. Dann versuche ich
es«, antwortete er. Er wußte, daß er niemals eine Robbe würde erlegen können.
Aber was er da gehört hatte, beschäftigte ihn.
    Back brachte seinen Seehund zu den Eishütten. Man aß die rohe Leber
und lernte noch mehr: Der Jäger bekommt nichts von der Beute, er jagt für die
anderen. Das paßte zum Franklinschen System – zumindest war es der Überlegung
wert.
    Zwar wurde die Nordwestpassage nicht gefunden, aber die Reise war
dennoch erfolgreich: eine beträchtliche Küstenstrecke war erforscht und
kartographiert, und die ethnographischen Aufzeichnungen waren zahlreich und
gut. Von der Mündung des Kupferminenflusses bis zur Behringstraße war jetzt der
Verlauf der Nordwestpassage klar erkennbar. Blieb nur noch das Stück zwischen
Hudsonbai und Point Turnagain.
    Wo war der »stolzeste Punkt der Reise«? Franklin entfaltete Eleanors
Fahne an der Mündung des großen Stromes, den er nach seinem Entdecker
Mackenzie’s Fluß nannte.
    Dem Bericht über die zweite Reise im kanadischen Norden
wollte Franklin den Titel »Die freundliche Arktis« geben. Aber der Verleger war
strikt dagegen: »Niemand will etwas von einer freundlichen Arktis hören, Mr.
Franklin! Wüst und schrecklich muß sie sein, damit die Entdecker noch
heldenhafter erscheinen!« »Aber das ist doch, was ein Entdecker tun soll«,
erwiderte Franklin, »so lange forschen, bis er die freundlichen Seiten entdeckt
hat.« »Ja, aber das bleibt unter uns!« antwortete der Verleger. Das Buch
erhielt einen neutralen Titel: »Zweite Reise zu den Küsten des Polarmeers« und
verkaufte sich gut. Berühmt blieb John Franklin allein wegen der früheren
Reise. Mr. Murray hatte recht. Die Leser verstanden nur, was sie schon vom
ersten Buch her zu wissen glaubten, und es war nicht gut, sie zu beirren. Die
Zeit war knapp, die Meinung fest, und Neues blieb verborgen.
    London dampfte. Der Zuwachs an Apparaten, Maschinen und
Eisenkonstruktionen wurde täglich größer, man nannte es den Fortschritt. Viele
wirkten an ihm mit, wenige hatten an ihm teil. Die meisten starrten ihn mit
glänzenden Augen an und sagten bewundernd: »Wahnsinn!« Der Fortschritt war eine
Verrücktheit, diente aber dem Ruhme Englands, und auch wer keinen Profit
machte, liebte seine Nation.
    Ein gewisser Brunel – John hatte schon in Portsmouth von ihm gehört – wühlte seit 1825 mit großen Maschinen im Schlick, um einen Tunnel unter der
Themse hindurchzuführen. Und »Lokomotiven« gab es jetzt. Sie erreichten, obwohl
sie mit glatten Eisenrädern auf glatten Schienen fuhren, die Geschwindigkeit
eines guten Pferdes und zogen dabei noch bis zu drei Wagen hinter sich her.
Charles Babbage erklärte John seinen Plan, eine riesenhafte Rechenmaschine zu
bauen, so groß wie ein Haus, bestehend aus einem rechnenden und einem
druckenden Teil. Sie sollte ununterbrochen arbeiten und die ganze Welt mit
Logarithmentafeln und nautischen Tabellen überziehen. Nichts Errechenbares
würde dann noch menschliche Gehirne belasten! Alle begabten Menschen würden
wieder nachdenken statt Zahlen zu kritzeln. Das gefiel Franklin. Babbage geriet
in Eifer. Er erzählte genau, wie die Maschine rechnete, nämlich anders als ein
Mensch, und viel schneller und zuverlässiger! Sie würde die unglaublichsten
neuen Erkenntnisse produzieren, weit über die bisher gebräuchliche Mathematik
hinaus, und vielleicht könnte sie sogar die Armen- und

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