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Die Entdeckung der Langsamkeit

Die Entdeckung der Langsamkeit

Titel: Die Entdeckung der Langsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sten Nadolny
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nach Spilsby, Lincolnshire, zurück und dachte über alles gründlich nach.
    Eleanor erwartete ein Kind. Wenigstens das stand noch nicht in der
Zeitung.
    Ãœber den Ruhm nachzudenken war für einen Berühmten nicht
leicht, er stand sich dabei selbst im Wege. Um nachdenken zu können, verbot
sich Franklin deshalb energisch die Idee, der Ruhm hänge mit seinen wirklichen
Qualitäten zusammen. Eher war es eine Sache der Sensation. Für die Londoner war
er »der Mann, der seine Stiefel aß«, und wenn sie ihn sahen, fiel jedem ein
guter Witz über Hunger und Kälte ein. Ja, das war es: allen fiel zu seiner
Geschichte etwas ein. Deshalb kam er auch nicht wesentlich besser zu Wort als
vorher.
    Mr. Elliott hatte gesagt: »Ein Held, das ist ein Pechvogel mit
Charakter. Helden brauchen wir jetzt mehr denn je, und zwar als Gegensatz zu
den Maschinen.« Sharp hatte die hauchdünne Pause genutzt und eingeworfen: »Eine
ziemlich abwegige Erklärung! Die Todesnähe ist es! Ein Held ist einer, der jung
stirbt oder zehnmal mit dem Leben davonkommt und es dann ein elftes Mal
riskiert. Und da neuerdings jeder außer mir selbst vom Tode schwärmt …« Miss
Tuttle, deren Kinn eben unten angekommen war, wurde ungeduldig: »Gut, das wäre
also ungeklärt. Die Leute lieben ihn einfach! Wenn Sie mir sagen können, wie
Liebe entsteht, wissen Sie alles.« Franklin interessierte sich weniger für die
Entstehung als für die Frage, wie er mit seiner neuen, übermäßigen
Auffälligkeit glücklich leben sollte.
    Zu Flora Reed sagte er: »Ruhm und Lächerlichkeit sind nah verwandt.
Mit Ehre haben beide nichts zu tun.«
    Flora antwortete: »Ich beneide dich ja auch gar nicht! Was wirst du
mit dem Geld tun?«
    Â»Am liebsten verschenken«, grübelte John, »allerdings bin ich jetzt
ein verheirateter Mann …«
    Â»Sieh da!« sagte Flora.
    Â»â€¦Â und übrigens werde ich, wenn ich trotz allem kein weiteres
Kommando erhalte, ein eigenes Schiff ausrüsten müssen.«
    Flora entschuldigte sich. Sie hatte zu tun.
    Daß er nicht von Natur langsam sein sollte, behagte John
überhaupt nicht: er brauchte diese Eigenschaft jetzt mehr denn je. Roget hatte
die Maschine nachbauen lassen, mit der einst Dr. Orme Johns Geschwindigkeit
gemessen hatte.
    Â»Sie hat einen Fehler«, sagte er, »das Ergebnis der Messung hängt
von der Meinung des Gemessenen ab. Will er langsam sein, dann sieht er schon
bei einer geringen Rotationszahl ein vollständiges Bild. Will er schnell sein,
ist er auch bei hoher Umdrehungszahl nicht zufrieden. Wann er ›jetzt‹ sagt,
bleibt ihm überlassen.«
    Â»Meine Langsamkeit ist aber von vielen Menschen beobachtet worden«,
antwortete Franklin, »und ich konnte auch dann nicht schnell sein, wenn ich
wollte. Nie habe ich einen Ball fangen können!«
    Â»Warum Sie etwas nicht konnten, darüber habe ich keine Theorie, Herr
Kapitän. Ich will mir auch keine anmaßen. Ich kann nur sagen, woran es
wahrscheinlich nicht gelegen hat. Ist Ihnen das unangenehm?«
    Â»Nein, es ist belanglos«, hatte Franklin ihm erwidert. »Ich weiß,
daß ich langsam bin: Berlengas! Der Leuchtturm von Berlengas hat mir den Beweis
dafür geliefert, daß ich immer eine Runde nachgehe.« Nun wurde Roget sehr
neugierig, aber den Beweis erhielt er nicht. John wechselte schwerfällig das
Thema und überhörte alle Versuche, noch einmal auf diese Sache zurückzukommen.
    Auch der Bilderwälzer, mit dem sich Roget beschäftigte,
interessierte Franklin weniger als früher. Das Schreiben hatte ihm da andere
Gesichtspunkte gegeben, aber er mußte lange nachdenken, bis er sie Roget
erklären konnte. »Ich bin Entdecker«, sagte er, »und Entdecken heißt: selber
direkt anschauen, wie etwas aussieht und wie es sich bewegt. Ich möchte mir von
einem Bilderwälzer nichts vormachen lassen.«
    Â»Dann lehnen Sie auch Malerei und Literatur ab?« fragte Roget.
Franklin bat ihn, etwas zu warten. Er ging einige Male im Zimmer hin und her.
    Â»Nein«, sagte er dann. »Malerei und Literatur schildern zwar auch,
wie etwas aussieht und nach welchen Regeln es sich bewegt, aber nicht, wie
schnell das geschieht. Wenn sie es doch irgendwie behaupten, kann man es sofort
anzweifeln. Das ist wichtig. Denn wie lang die Dinge dauern und wie schnell sie
sich ändern, müssen die

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