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Die Entdeckung der Langsamkeit

Die Entdeckung der Langsamkeit

Titel: Die Entdeckung der Langsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sten Nadolny
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damals der einzige Bestsellerautor war. Daneben wohl auch der
Gebildetste von allen und – der Eitelste, was ihn aber nicht zu einem
schlechten Zuhörer machte. Wenn ein so brillanter Mann kein Snob sein durfte,
wer dann? Ein paar Wochen lang wollte ich Arzt werden.
    Nur vorübergehend interessierte mich Hans-Otto Meißner, ein
Jugendfreund meines Vaters, nach dem Krieg Großwildjäger und Autor von
Expeditions- und Abenteuerberichten, eines seiner Bücher handelte auch von Kanada.
Er war ein energiegeladener Pykniker, erzählte von Wüsten- und
Tundradurchquerungen, und ich hätte ihn eigentlich mögen müssen, aber er lag
mir nicht. Er war enorm geltungsbedürftig, sein Hauptthema war »Ich und die
Wildnis«. Vor allem interessierte er sich nicht für Franklin, denn: der sei ja
wohl eklatant gescheitert. Damit hatte er bei mir gründlich vergeigt.
    Ehrlich froh war ich, wenn Werner Egk kam, ein Freund beider Eltern
aus Berliner Tagen. Er setzte mich als Neunjährigen hinter das Steuer seines
Volkswagens und ließ mich durch ganz Chieming fahren – mit seinen langen Beinen
bediente er vom Beifahrersitz aus die Pedale, schaltete fehlerfrei mit der
linken Hand (nebst Zwischengas), und ich bekam vor Glück rote Ohren, als Schulkameraden
mit offenen Mündern an der Straße standen und mich fahren sahen. Damals
patrouillierten noch Dorfpolizisten, aber Egk war nicht der Mann, den so etwas
beeindruckte. Er wußte, sah und merkte alles, und er hatte die Fähigkeit, auch
das Feinste und Komplizierteste ohne Verlust in seinem nur scheinbar derben
Schwäbisch-Bairisch zu sagen. Er war als einziger wirklich neugierig auf das,
was ich von Kanada und John Franklin erzählte – bei ihm traute ich mich
ausführlich zu werden, er tat mir sogar die Ehre an, die Geschichte vom
verschollenen Sir John und Lady Jane Franklin für einen Opernstoff zu halten,
es war aber bald nicht mehr davon die Rede. Von seiner Musik mochte ich nicht
alles, aber ich bin ihm als Anhänger treu geblieben. Was ich an ihm wirklich
bewunderte, waren seine Libretti, besonders das zur »Irischen Legende«. Keiner
von all den Schriftstellergästen in unserem Haus hatte so viel »Blick« und
Kraft in der Sprache. Heute weiß ich, daß man das nicht lernen kann, auch wenn
man eine Bildung mit bairischen Ingredienzen hat.
    Was den Jüngling mehr beschäftigte, war – neben Mädchen, die von
seiner Verliebtheit nie ein Sterbenswort erfuhren – das Segeln und das
Skifahren. Für mein Leben mit John Franklin war vor allem das Segeln wichtig.
Ich hatte es in Gollenshausen bei einem Kapitän Schunck gelernt, der zwar,
glaube ich, U-Bootkapitän gewesen war, aber das tat seinem Nimbus keinen Abbruch,
jedenfalls sah er so aus, wie ich mir Kapitän Hornblower vorstellte, sehr
deutsch, eher Curd Jürgens als Gregory Peck. Dem Segeln verdanke ich nicht nur
für mein Franklinthema viel. Gewiß, wer nicht weiß, wie man Wind in Fahrt
verwandelt, der versteht auch Trafalgar nicht. Aber das Beherrschen eines Segelbootes
(auf dem Chiemsee waren das damals Plätten, Piraten und Schratzen) – ist
allemal ein Fest der Logik, der praktischen Vernunft und der physikalischen
Pfiffigkeit. Ich habe nie die Hoffnung aufgegeben, auch das Schwierigste im
Leben »navigatorisch« zu bewältigen, also durch Kenntnisse, Antizipation und
scharfe Beobachtung. Wie oft und wie sehr ich trotzdem gescheitert hin, lasse
ich hier lieber beiseite.
    Ich wollte keinesfalls Schriftsteller werden, also auch niemals
einen Roman über John Franklin schreiben. Schon die Versuche meiner ehrgeizigen
Mutter, dem achtjährigen Buben kleine Geschichten für die Kinderseite der
»Neuen Zeitung« zu entlocken, führten nicht weit. Ich mochte es nicht, wenn sie
an der Maschine saß, den ersten Satz hinschrieb und mir die folgenden Sätze
»vorschlug«, indem sie sie schon mal tippte. Ihr zuliebe machte ich mit, aber
mir war nicht nahezubringen, daß da meine Begabung liege. Ich meinte für ganz
anderes gerüstet zu sein: Unternehmer wollte ich werden, also reich, damit ich
meine Eltern im Alter ernähren und ihnen alles ermöglichen konnte, sie reisten
doch so gern. Auf meine finanzielle Hilfe waren sie allerdings ab 1959 nicht
mehr angewiesen, weil meine Mutter mit ihrem Bestseller »Ein Baum wächst übers
Dach« großen Erfolg hatte. Es gab nun

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