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Die Entdeckung der Langsamkeit

Die Entdeckung der Langsamkeit

Titel: Die Entdeckung der Langsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sten Nadolny
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zwei Ankern liegt. Ich hätte gern, daß
beide Ketten drauf sind!« So war Matthew. Er wollte von der Arbeit, die man
sich gemacht hatte, auch etwas sehen.
    Als sie ihren Streifzug begannen, hörten sie plötzlich großes
Beifallklatschen. Es waren aber nur zwei schwarze Schwäne, die von einem Teich
aufflogen. Und kletternde Krebse gab es weit und breit nirgends.
    Dann sahen sie den ersten Einheimischen, einen alten Mann. Er
näherte sich unsicheren Schritts, schien aber die Weißen nicht im geringsten zu
beachten, sondern führte ein lautes Gespräch mit unsichtbaren Freunden im Wald.
Als Mr. Thistle einen Vogel schoß, erschrak der Alte keineswegs. Er staunte nur
kurz und führte dann die Unterhaltung fort. Etwas später rückten zehn braune
Männer an, lange Stäbe in der Hand und nackt wie der Alte. Matthew hieß die
Seinen stehenbleiben und legte den Australischen ein weißes Schnupftuch und den
erjagten Vogel als Geschenk hin. Vielleicht hatte aber gerade diese Vogelart
keine so gute Bedeutung. Die Männer wurden ablehnend und begannen, die Weißen
mit wedelnden Armbewegungen zum Schiff zurückzudrängen. Sie nahmen auch das
Schnupftuch nicht. Als sie die Investigator liegen sahen,
deuteten sie immer wieder hin und sprachen in einem fordernden Ton. Das war
nicht mißzuverstehen. »Es heißt: Geht nach Hause!« vermutete Mr. Thistle.
Matthew hielt es für möglich, daß sie nur das Schiff besichtigen wollten, und
machte einladende Gesten. Darauf bedeuteten ihm die braunen Männer, er möge das
Schiff zu ihnen bringen. So wurde es wohl mit den Wilden etwas mühsam. Ein
Missionar hätte das Kreuz hervorgezogen und Gebete gesprochen, und das wäre
womöglich besser gewesen als ein Schnupftuch und ein toter Vogel von der
falschen Sorte. Frauen sah man nicht. Sie wurden gewiß verborgen gehalten. John
dachte an Mr. Dixson von der Elligood. Niemand konnte wissen, wie der sich hier
benommen hatte. Die australischen Männer blickten ernst unter ihren dicken
Augenknochen hervor wie Hausherren, denen ein etwas zweifelhafter Besucher
vorgestellt wird. Ihre Bärte und Haare waren gesträubt, vielleicht auch das ein
Zeichen des Zweifels, ganz wie bei dem Kater Trim.
    Â»Die sehen sich hier ja tierisch ähnlich!« sagte Olof Kirkeby nach
eingehender Prüfung zu seinem Zwillingsbruder.
    Untereinander sprachen die Australischen erst wenig, dann immer
mehr, und schließlich begannen einige zu lachen. Bald taten das alle bis auf
einen, sie redeten und lachten. Matthew meinte, sie hätten nun doch Vertrauen
gefaßt. Mr. Thistle vermutete, das jetzige sei ihr normales Verhalten, es sei
durch das Erscheinen der Weißen nur kurz dem ängstlichen Staunen gewichen.
Sherard sagte: »Sie lachen, weil wir Kleider anhaben.« John sah am längsten
hin, bevor er etwas sagte. Seine Antwort kam, als alle die Frage für erledigt
hielten, und wie gewöhnlich so schleppend, daß nur noch Matthew und Sherard
zuhörten. »Sie wissen jetzt, daß wir ihre Sprache nicht verstehen. Darum reden
sie absichtlich Unsinn und lachen darüber.« Matthew staunte und schlug sich auf
den Oberschenkel. »Stimmt«, rief er und wiederholte das Ganze noch einmal etwas
schneller für die anderen. Jetzt sahen alle sehr genau hin: es stimmte! Dann
blickten sie John an. In die Stille hinein sagte Sherard: »John ist klug. Ich
kenne ihn schon zehn Jahre!«
    Inzwischen hatte Mr. Westall die Ansicht der Bucht vollendet. Jeder
Hügel, jeder Baum stimmte, auch das Schiff an seinen Ankertauen und die
Ausfahrt ins offene Meer. Vorne aber sah man einen riesenhaften alten Baum, den
es hier nirgends gab. Seine Äste rahmten alles ein, und in ihrem Schatten
lehnte ein Eingeborenenpärchen von hübscher Gestalt, das bewundernd zum Schiff
hinausblickte. »Das Mädchen male ich genauer, wenn wir zum ersten Mal Frauen
gesehen haben«, meinte Mr. Westall. John fühlte einen Zweifel aufsteigen, er
wußte aber noch nicht, wie er zu bestimmen war.
    An der ganzen Situation war etwas verkehrt. Es war John zumute, als
werde er gleich »Halt!« rufen müssen, er wußte bloß noch nicht, was er anhalten
sollte. Irgend etwas war bei den eigenen Leuten anders als sonst. Was hatte die
Anwesenheit von Eingeborenen bei ihnen verändert? John beobachtete die
Engländer jetzt ebenso scharf wie vorher die Australischen.
    Die Kirkebys blieben

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