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Die Entdeckung der Langsamkeit

Die Entdeckung der Langsamkeit

Titel: Die Entdeckung der Langsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sten Nadolny
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gesorgt habe.
    Wenn er morgens in der Hängematte lag und nachdachte, hellwach schon
längst vom Poltern des »heiligen Steins«, dann gab es Augenblicke von rauschhafter
Klarheit. Er wußte, daß, sehr langsam, etwas Neues begann. Gleichzeitig spürte
sein Rücken schon, wie das Meer heute aussah. Nicht mehr lang, und er war ein
Seemann durch und durch.

Siebentes Kapitel
    Terra australis
    Die Investigator leckte trotz der
Ausbesserung bald wieder, und mehr als zuvor. »Sie zwitschert jetzt schon fünf
Zoll pro Stunde, die alte Saufgurgel«, sagte der Bootsmannsmaat. »Wenn wir am
Kap nicht wieder kalfatern, können wir uns gleich in den Booten einrichten. Ein
Sturm, und wir brauchen keinen Arzt mehr!« Aber das war einer der wenigen
pessimistischen Sätze, die gesprochen wurden. Mr. Colpits war dazu
übergegangen, vielsagend zu schweigen, und der Rest der Mannschaft dachte: Bis
zum Kap werden wir es schon schaffen.
    Der Sommer ging einfach weiter und wurde immer wärmer. Die Zeit der
kurzen Hosen schien stehengeblieben. Jetzt wurde es Oktober, aber hier war das
erst der Anfang des Sommers. Allein durch ihre Dauer veränderte die Wärme die
Menschen. Nichts an Bord war unwichtig, jedem wurde zugehört. All das gab John
das Gefühl, gar nicht mehr so langsam zu sein wie noch vor Monaten. Überdies
konnte Trim ihn nicht mehr blamieren. John gab dem Kater seinen Bissen, noch
bevor er danach krallte.
    Matthew ärgerte sich, weil er eine Insel Saxemberg nicht finden
konnte. Ein gewisser Lindeman wollte sie vor gut hundert Jahren gesichtet haben – er hatte genaue Koordinaten angegeben. Aber obwohl Tag und Nacht drei Männer
Ausschau hielten, wurde Saxemberg nicht ausgemacht. Vielleicht war Lindeman verrückt
gewesen oder sein Chronometer des Teufels. Oder die Insel war zu flach und
blieb hinter der Kimm. Womöglich war man kaum fünfzehn Seemeilen an ihr vorbeigesegelt.
»Wenn keiner sie findet, gehört sie mir«, sagte Sherard. »Ich baue mir ein Haus
darauf, das mir keiner wegnehmen kann.«
    Am Kap der Guten Hoffnung lag eine Schwadron englischer
Kriegsschiffe, die mit Zimmerleuten und Material aushalfen. Neues Werg wurde in
die geschundenen Nähte der Investigator gezwängt.
Nathaniel Bell, heimwehkränker denn je, wurde mit einer der Fregatten nach
Hause geschickt. Für ihn kam ein anderer Midshipman herüber, Denis Lacy, ein
Bursche, der viel über sich selbst redete, weil er fand, die anderen müßten
wissen, mit wem sie es zu tun hätten. Zunächst konnte John ihm aus dem Wege gehen.
    Da der Astronom wegen starker Gichtanfälle nach Kapstadt gebracht
worden war, mußten Leutnant Fowler und John eine Sternwarte einrichten. Als
ihre Fernrohre bereits den Himmel absuchten, merkten sie, daß neben ihrer Station
der Pfad von Simonstown nach Companies Garden vorbeiführte. Wer immer dort
entlangzog – Gentlemen auf dem Morgenritt, Sklaven mit Feuerholz, Seeleute von
den Schiffen in der False Bay –, alle blieben stehen und fragten, ob es schon
etwas Interessantes zu sehen gäbe. Gut, daß Sherard dabei war! Er machte einen
Zaun aus Pfählen und Seilen, zog alle Frager auf sich und erzählte mit runden
Augen so abenteuerliche Neuigkeiten über die gesichteten Himmelskörper, daß die
Gentlemen ihren Ritt und die Sklaven ihre Last wieder aufnahmen.
    Nach drei Wochen ging die Fahrt weiter. Die letzten europäischen
Kriegsschiffe kamen außer Sicht. »Ich glaube, ich möchte immer dort sein, wo es
nicht um Körper geht, oder wenn, dann respektvoll«, sagte John zu Matthew.
    Der wußte, was gemeint war. »Wo wir hinkommen, da kann man einen
Krieg ersticken, solange er noch klein ist.«
    Die Investigator lief mit sechs
Knoten direkt nach Osten. In etwa dreißig Tagen würden sie die Terra australis
an einem bereits bekannten Punkt erreichen, dem Kap Leeuwin. John stellte sich
schon die Eingeborenen vor. »Ob sie ganz nackt sind?« fragte Sherard. John
nickte geistesabwesend. Er dachte daran, daß für die Wilden ein Weißer ein
wunderbarer Mensch sein mußte, weil er von so weit her kam. Sie würden einem
Weißen immer lange zuhören, auch wenn sie kein Wort verstanden. Ferner war John
gespannt darauf, ob es dort wirklich Fische und Krebse gab, die auf Bäume
kletterten, um sich nach dem nächsten Wasser umzusehen. Mockridge hatte das
erzählt, und auf den war

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