Die Entdeckung der Langsamkeit
ruhig. Sie starrten unentwegt auf die Wilden
und blieben dabei stumm. Andere aber gingen viel zu nah hin, gestikulierten
herum, und zwar bei weitem zu schnell. Vielleicht wollten sie begütigen,
vielleicht auch nur zeigen, daà ihnen zu der Situation etwas einfiel. Das
änderte aber nichts an ihrer Zudringlichkeit. Sie wollten verblüffen, so wie
alle John verblüffen wollten, wenn sie ihn noch nicht genug kannten. Besonders
unangenehm waren einige, die ihre Köpfe zusammensteckten und über die Wilden
lachten.
»Mehr Respekt, meine Herren!« sagte Matthew mit gefährlicher Ruhe,
»keine Witze mehr, auch keine guten, Mr. Taylor!«
Plötzlich wuÃte John, wie es war: alle glaubten, die Wilden seien
noch zu wenig darüber belehrt, wen sie vor sich hätten. Die WeiÃen fühlten sich
noch nicht ausreichend respektiert. Sie warteten darauf, daà dieser Fehler korrigiert
würde.
Als sich die Engländer wieder in die Boote setzten, hatte John zu
viel mit sich selbst zu tun, um weiter genau beobachten zu können. Da hörte er
Matthews Stimme scharf sagen: »Ich warte nicht mehr lange, Mr. Lacy!« Es ging
um ein Gewehr, welches Denis wohl aus purem Ãbermut hatte abfeuern wollen.
Es fiel John auf, daà Matthew sich ruhiger bewegte als sonst,
schleppender als irgendein anderer auf dem Landeplatz. Auch bei den
Australischen gab es einen, der sich so verhielt. Er saà ruhig da, lachte wenig
und nahm alles wahr â seine Augäpfel waren in ständiger Bewegung.
Da fiel ein SchuÃ. Die braunen Männer verstummten. Getroffen war
niemand. Einer der Marinesoldaten war an den Abzug seiner Waffe geraten.
Aber warum passierte das ausgerechnet beim Abschied, und warum einem
Mann, der am Gewehr vorzüglich ausgebildet war?
Nach wenigen Tagen trafen sie in einem weiteren Küstenabschnitt
einen ganzen Stamm, also auch Frauen und Kinder, die aber bald in Sicherheit
gebracht wurden. John konnte die Australischen gut auseinanderhalten, denn er
sah lang genug hin. Nicht einmal Dr. Brown konnte das so gut, obwohl er doch
Forscher war und die Wilden von Kopf bis Zehen vermaÃ. Er schrieb in ein Heft:
»King-George-Sund und Umgebung. A: Männer. Durchschnittswerte von 20 Exemplaren. Länge: 5 Fuà 7 Zoll. Oberschenkel: 1 Fuà 5 Zoll. Schienbein: 1 FuÃ
4 Zoll.«
»Was machen wir damit, kriegen die jetzt Kleider?« fragte Sherard.
»Nein, das ist Ethnographie«, antwortete der Forscher. John hatte zu notieren,
wie die gemessenen Körperteile hieÃen: Kaat â der Kopf, Kobul â der Bauch, Maat â das Bein, Waleka â das GesäÃ, Bbeb â die Brustwarze. Es war ein Tauschhandel:
Nägel und Ringe gegen MaÃe, Gewichte und Vokabeln.
Als Matthew die Worte für Feuer und Arm wuÃte und damit einen
australischen Namen für Gewehr, lieà er am Ufer die Trommel schlagen, so daÃ
WeiÃe wie Eingeborene sich neugierig versammelten. Er hob ein Gewehr hoch in
die Luft und rief auf australisch einige Male: »Feuer-Arm.« Dann schoà er auf
ein ÃsfaÃ, das er auf einen Stein hatte legen lassen, und traf es so gut, daÃ
es ins Wasser gefegt wurde. Er lieà wieder laden und das Ãsfaà auf den alten
Platz legen. Jetzt sollte John schieÃen. John begriff nicht sofort â es lag
daran, daà er anderer Meinung war und nicht wollte. Zum ersten Mal seit langer
Zeit tat er noch langsamer, als er war, aber es half nichts, er konnte Matthew
nicht widersprechen.
Es war ein Ãsfaà aus Blech, das viel Lärm machte, und John war der
Langsamste. Matthew wollte den Wilden zeigen, daà auch ein langsamer Engländer
mit dem Feuerarm jähe Veränderungen bewirken konnte. John hatte eine ruhige
Hand und verstand sich aufs Zielen. Er traf das Blech. Beifall bekam er nicht,
denn das hatte Matthew verboten. Es sollte wie eine ganz alltägliche Sache
wirken. Das Ergebnis war seltsam. Die Australischen lachten, vielleicht aus
Befremdung. Das Wort »Feuerarm« benutzten sie nie, sie hatten für das Gewehr
einen anderen Namen. Daà Vögel und Ãsfässer umfielen, wenn sie getroffen waren,
hatten sie gesehen. Vielleicht wuÃten sie noch nicht, daà es mit Menschen
genauso war. Immerhin waren jetzt die WeiÃen der Ansicht, sie würden von den
Wilden in ihrer Ãberlegenheit anerkannt, und so hatten sie auch selbst wieder
mehr Respekt vor ihrem
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