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Die Entdeckung der Langsamkeit

Die Entdeckung der Langsamkeit

Titel: Die Entdeckung der Langsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sten Nadolny
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und
nach rechts hinausgestreckt ein stilles Meer mit zarten, fernen Wolkenbänken.
Aber da war eben doch etwas! Eine weiße Erhebung mitten im Meer, vielleicht
zwölf Seemeilen voraus – die Spitze war gerade eben mit dem Glas zu erkennen,
womöglich ein Felsen. John sang ihn aus. »Kann auch ein Eisberg sein«, rief er
hinunter. Eine gute Viertelstunde lang spähte er bewegungslos. Warum kam das
Gebilde bei einer Geschwindigkeit von nur drei Knoten so schnell auf? »Ein
Schiff!« rief John und starrte durchs Fernrohr mit offenem Mund. Im Nu wimmelte
das Deck unter ihm von Menschen. Ein Schiff? Hier? Matthew enterte auf und
überzeugte sich selbst. Ja, es war ein Schiff, ein Rahsegler. Royal- und
Bramsegel waren schon gut sichtbar, ein Eingeborenenboot war es ganz sicher
nicht. »Klar Schiff zum Gefecht!« schrie Matthew und schob das Glas zusammen.
An Deck begann ein banges Hetzen kreuz und quer, eine Bärenschufterei mit den
verfluchten Kanonen, die man erst wieder an ihre Stelle hieven und mit
Schabeisen vom Rost befreien mußte. Von oben sah es aus, als zerplatze das
glatte, wohlgerundete Schiff mit einem Mal vor lauter Aktivität in tausend
Splitter. Flaschenzüge krächzten, Eisen kreischte, Lafetten polterten. Bald
würde es echte Splitter geben. Das war es wohl, was John am Anfang der Reise im
Traum gesehen hatte. Jetzt kam der Tod und machte die Sache wahr. Mit leerem
Sinn starrte John auf den Punkt am Horizont: mit einem Punkt fing alles Unglück
an. Trim war längst wieder unten und hatte sich in Matthews Kajüte verkrochen,
die galt bei den Katzen als sicherer Ort.
    Die Trommel begann zu hämmern. Mr. Colpits war vor lauter
Verantwortung rot angelaufen und brüllte, was er konnte. Gerade zwei Stunden
hatte er noch Zeit, wenn der Wind so blieb. John hörte dumpf die bekannte
Musik: Herdfeuer löschen, Sand streuen, Munitionstransport. Es war wieder so
weit.
    Eine Stunde später wußte er noch mehr. Das fremde Schiff hatte zwei
Segel unter dem Bugspriet, die John aus Erzählungen kannte: sie hießen Blinde
und Schiebblinde und fanden sich nur auf französischen Kriegsschiffen. Bald sah
er auch die französische Flagge emporsteigen. Auf der Investigator heißte Taylor den Union Jack. Die größten Segel wurden zu bauschigen Tuchballen
aufgegeit, um nicht alsbald in Fetzen geschossen zu werden – von den Franzosen
wußte man, daß sie auf die Takelage zielten. Die Lunten brannten. Neben dem
Rudergänger stand bereits der Ersatzmann. Wir haben doch einen Paß, dachte
John. Er versuchte sich Matthews Gedanken vorzustellen. Nach dem Paß werden sie
nicht fragen, dachte er, sie werden unsere Entdeckungen aus der Welt schaffen,
indem sie uns versenken. Sie werden das Land nach ihrer Revolution nennen,
einen Franklin-Hafen wird es nicht geben! Die Ablösung kam herauf, John machte
dem Matrosen Platz und enterte ab. Matthew feuerte die Mannschaft an: »Wir
lassen uns nichts bieten! Wenn sie es versuchen, erteilen wir ihnen eine
Lehre!« Freilich war ziemlich deutlich zu erkennen, daß das gegnerische Schiff
stärker bewaffnet war als das eigene. Außerdem brauchte man auf die Investigator kaum noch zu schießen – sie machte pro Stunde
schon acht Zoll Wasser auf eigene Rechnung.
    John wußte jetzt genau, was er in Kopenhagen gehabt hatte: Angst,
Panik! Diesmal wollte er aber keine Angst haben, obwohl es ihn sehr dahin
drängte. Er wollte nach genauer Beobachtung und folgerichtiger Überlegung das
Vernünftigste tun. Noch eine halbe Stunde höchstens. Jetzt wurde der Rum
ausgegeben. Für die Katastrophe war alles vorbereitet. Ob man sie überstehen
würde, war eine andere Frage.
    Plötzlich horchte John auf. Ganz deutlich hatte er einen Befehl
gehört. Woher er kam, war unklar, aber es schien ein guter Befehl. John
handelte so schnell wie möglich.
    Sherard Lound stand an einem der Backbordgeschütze und
bestaunte den näher kommenden Franzosen. Das Biest hatte wenigstens dreißig
Kanonen. Er drehte sich zu John um, aber der war verschwunden. Doch, da kam er
von achtern herangetappt und hielt eine zusammengelegte weiße Fahne in der
Rechten. Sherard war verwirrt. Signalfähnrich war Taylor. Irgend jemand rief:
»He, Mr. Franklin, was zum Teufel …« John drehte sich aber nicht um, er hatte
es wohl überhört. Gemächlich befestigte er die Fahne und heißte sie Hand

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