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Die Entdeckung der Virtualität.

Die Entdeckung der Virtualität.

Titel: Die Entdeckung der Virtualität. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem , Bernd Flessner
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Anspruch genommenen Apparatur wird selbstverständlich variieren: Miss Universum ist leichter zu imitieren als Einstein; im letzteren Falle müßte die Maschine schon über eine Komplexität und damit auch eine Intelligenz verfügen, die der Verstandeskraft eines genialen Menschen entspricht. Man kann nur hoffen, daß es von den Liebhabern eines Schwätzchens mit solchen Schönheitsköniginnen weitaus mehr gibt als von denen, die nach einem Gespräch mit dem Schöpfer der Relativitätstheorie lechzen. Ergänzend sei noch hinzugefügt, daß das »Einschiebsel«, die »Gegenaugen«, von denen in unserem ersten Anschauungsbeispiel die Rede war, bei einem voll entwickelten Phantomisator nicht sehr viel hergeben würde - hier bedarf es anderer, vollkommenerer Lösungen. Das Prinzip ist jedoch das gleiche: Der Mensch ist durch zwei Informationskanäle, einen afferenten und einen efferenten, mit einer Umwelt verbunden, die von der phantomatischen Maschine imitiert wird. Die Maschine kann in dieser Situation alles, nur eines nicht: ihrer direkten Kontrolle unterliegen nicht die Prozesse, die im Gehirn des Rezipienten ablaufen, sondern lediglich die Fakten, die in das Gehirn gelangen; man kann also im Phantomaten beispielsweise nicht verlangen, eine Persönlichkeitsspaltung oder einen akuten Anfall von Schizophrenie zu erleben. Doch ist diese Bemerkung ein bißchen voreilig, denn hier sprechen wir nur von der »peripheren Phantomatik«, die »von der Peripherie« des Körpers aus hervorgerufen wird, da ja das Hin und Her der Impulse sich in den Nerven abspielt und nicht unmittelbar in die zerebralen Prozesse eingreift.
       Die Frage, wie man den fiktiven Charakter der phantomatischen Vision erkennen kann, entspricht prima facie der Frage, die sich zuweilen der Träumende stellt. Bei manchen Träumen kann man sich ja nicht des überwältigenden Gefühls erwehren, daß das, was in ihnen geschieht, real ist. Dazu wäre allerdings anzumerken, daß das Gehirn des Träumenden niemals die volle Erkenntnisund Intelligenzleistung aufbringt wie im Wachzustand. Unter normalen Bedingungen kann man den Traum für den Wachzustand halten, aber nicht umgekehrt (den Wachzustand für einen Traum), höchstens ausnahmsweise, aber das sind dann spezifische Zustände (gleich nach dem Aufwachen oder während einer Krankheit oder während wachsender geistiger Erschöpfung). In diesen Fällen haben wir es aber stets mit einem Bewußtsein zu tun, das sich deshalb »betrügen« läßt, weil es verschattet ist.
       Die phantomatische Vision tritt — im Unterschied zum Traum — im Wachzustand auf. Nicht das Gehirn des Phantomatisierten erzeugt die »anderen Personen«, die »anderen Welten«, sondern die Maschine. Der phantomatisierte Mensch ist, was Menge und Inhalt der zu ihm gelangenden Information betrifft, der Gefangene der Maschine: von außen erreicht ihn keine sonstige Information. Mit der zu ihm gelangenden Information kann er jedoch ganz ungehindert verfahren, also sie interpretieren und analysieren, wie es ihm gefällt, aber natürlich nur, so weit sein Scharfsinn reicht. Kann also ein Mensch, der im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte ist, den phantomatischen »Betrug« entdecken?
       Nun, wenn die Phantomatik so etwas sein sollte wie heute das Kino, dann müßte ihm schon die Tatsache, daß er sich dorthin begibt, eine Eintrittskarte erwirbt und ähnliche vorausgehende Handlungen, an die sich der Phantomatisierte ja auch während der Vorstellung noch erinnert, und schließlich auch das Wissen, wer er im gewöhnlichen Leben wirklich ist — das alles müßte es ihm gestatten, das Erlebte richtig zu beurteilen und nicht ganz ernst zu nehmen. Das hätte zwei Aspekte: einerseits könnte sich der Mensch in dem Bewußtsein, daß das erlebte Geschehen nur Konvention ist, genau wie im Traum sehr viel mehr erlauben als in Wirklichkeit (in der Schlacht, in Gesellschaft oder in der Liebe würde er also kühner vorgehen, als es seiner Verhaltensnorm entspricht). Dieser die Handlungsfreiheit erweiternde und daher subjektiv eher angenehme Aspekt würde durch den zweiten, gleichsam entgegengesetzten Aspekt wettgemacht: durch das Bewußtsein, daß weder die vollbrachten Taten noch die in der Vision auftretenden Personen materiell, das heißt echt sind. Es könnte also passieren, daß selbst die perfekteste Vision das Bedürfnis nach Authentizität nicht befriedigt.
       Das kann und wird auch sicherlich eintreten, wenn aus der Phantomatik

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