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Die Entdeckung der Virtualität.

Die Entdeckung der Virtualität.

Titel: Die Entdeckung der Virtualität.
Autoren: Stanislaw Lem , Bernd Flessner
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funktionales Element) zukommt. Sie zu öffnen und irgendein Einschiebsel »anzustückeln« würde demnach nicht bloß eine »organisatorisch-informatorische Zugabe« bedeuten, sondern die völlige Zerstörung der ursprünglichen subjektiven und objektiven Bedeutung.
       Lassen wir aber diese Details auf sich beruhen, treten sie doch angesichts der ontologischen Problematik, die durch derartige Eingriffe entsteht, weit in den Hintergrund. Wenn wir aus einer Dynamomaschine eine Zentrifugalpumpe machen wollen, so müssen wir von ihren Teilen dermaßen viele wegwerfen, dermaßen viele neue hinzufügen und das Ganze dermaßen umbauen, daß die Pumpe, die dabei herauskommt, keine »ehemalige Dynamomaschine« mehr sein wird, sondern einfach eine Pumpe und sonst nichts. Entsprechend kann es sein, daß die »Abänderungen«, die aus Herrn Smith einen Napoleon oder einen Newton machen sollen, uns im Endeffekt eine völlig neue Persönlichkeit liefern, die mit der früheren nur noch so lose zusammenhängt, daß man im Grunde von Mord sprechen muß. Dabei wird ja ein Mensch vernichtet und in seiner früheren Haut ein neuer geschaffen. Angesichts der fließenden Übergänge läßt sich nicht genau festlegen, wo die »mörderische Cerebromatik« anfängt und eine Cerebromatik aufhört, die »gewisse Merkmale der fortgeführten Persönlichkeit umgestaltet«. Ein so brutaler Eingriff wie die Entfernung der Frontallappen (Lobotomie) bewirkt weitreichende Veränderungen des Charakters, der Persönlichkeit, des Trieblebens und des Gefühlslebens. Aufgrund dessen hat man die Lobotomie in zahlreichen Ländern (darunter auch in Polen) zu einem unerlaubten Eingriff erklärt. Derartige Eingriffe sind um so gefährlicher, als der Operierte gewöhnlich von den in ihm eingetretenen Veränderungen subjektiv nichts weiß. Zum Trost sei allerdings hinzugefügt, daß unser Wissen sich ausschließlich auf verstümmelnde Eingriffe stützt.
       Aber ist es nicht möglich, ein »Einschiebsel« zu schaffen, das, als Träger des »musikalischen Talents« an das Gehirn von Herrn Smith »angeschlossen«, dessen Persönlichkeit bereichert, jedoch nicht zerstört? Hier fehlt es an den einfachsten Handlungskriterien, denn ein Cerebromatiker, der verspricht, »vorsichtig« vorzugehen, ist wie jemand, der jeweils einige Hälmchen aus einem Heuschober entnimmt. Der Unterschied ist jedesmal mikroskopisch klein, doch nach einer gewissen Zeit gibt es den Heuschober nicht mehr - und keiner kann sagen, wann das passiert ist! Deshalb ist der Cerebromatiker, der Herrn Smith in winzigen Schrittchen in einen Beethoven abändern möchte, genauso gefährlich wie der, welcher diese Veränderung auf einen Schlag durchführen will.
       Wir haben oben die technische Seite des Problems insofern vereinfacht, als die verschiedenen Teile des Gehirns in unterschiedlichem Maße an der Schaffung der Persönlichkeit beteiligt sind. Die exakt lokalisierbaren Zentren (die kortikalen Analysatoren) wie etwa das optische oder das akustische Wahrnehmungsfeld haben auf die Konstitution der Persönlichkeit einen minimalen Einfluß. Dagegen besitzen die kleinen supraorbitalen Windungen und die Thalamuskerne in dieser Hinsicht gegenüber anderen Hirnregionen einen eindeutigen Vorrang. Das ist jedoch für das Resultat unserer Überlegungen nicht ausschlaggebend. Nicht »stoffliche Probleme«, sondern die Ethik gebietet uns, Pläne für eine »Seelenveränderung« zu verwerfen, bei der eine gegebene, möglicherweise sogar sehr einfältige Persönlichkeit in eine vielleicht überaus nette und hochtalentierte, aber andere Persönlichkeit verändert werden soll. Die »Seelentechnologie« — sowohl in ihrer heutigen wie in ihrer künftigen Gestalt — stößt hier auf das Problem der subjektiven Einmaligkeit der individuellen Existenz, die keineswegs als ein geheimnisvolles, unerklärliches Phänomen aufgefaßt wird, sondern lediglich als ein dynamischer Systemverlauf. Welche Abweichungen dieses Verlaufs man als eine totale Persönlichkeitsveränderung aufzufassen hat und welche lediglich als »Korrekturen« an der Persönlichkeit, die deren fortdauernde Identität nicht berühren, ist eine willkürlich zu entscheidende Frage, die also ganz auf Konvention beruht. Die »Cerebromatik« kann, mit anderen Worten, Menschen unbemerkt umbringen, da statt einer Leiche, die als Beweis des begangenen Verbrechens dienen würde, ein anderer Mensch entsteht. Den »Mord« als solchen kann sie auf
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