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Die Entdeckung der Virtualität.

Die Entdeckung der Virtualität.

Titel: Die Entdeckung der Virtualität.
Autoren: Stanislaw Lem , Bernd Flessner
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können, zumindest erleic htern. Sicherlich wäre es recht merkwürdig, wenn es gelänge, die Gesamtheit des menschlichen Wissens in der Weise erblich zu machen, daß das Neugeborene zur Welt kommt und schon ein Dutzend Sprachen sowie die Quantentheorie beherrscht. Das müßte ja nicht unbedingt bedeuten, daß es auf der Stelle »mit Menschen- und Engelszungen« spräche oder uns aus der Wiege heraus Vorträge über Spins und Quadrupolmomente hielte; im Laufe der Jahre würden sich bestimmte Kenntnisse in seinem Hirn genauso entwickeln, wie sich sein Organismus entwickeln, wachsen und während der Reifung verschiedene Wandlungen durchmachen wird.
       Damit drängt sich erneut das Bild einer Welt auf, in der Kinder »programmiert werden«, und zwar derart, daß mit den erblichen (oder vielmehr in die Chromosomen des Eis einkomponierten und dort fixierten) Fähigkeiten und Kenntnissen zugleich die Neigung verbunden ist, das zu tun, was jene erblichen Kenntnisse und Fähigkeiten ermöglichen (das Bild einer Welt, die ein wenig der Huxleys ähnelt). Selbstverständlich sind auch hier verschiedene Formen des Mißbrauchs möglich sowie Tendenzen zur »Produktion von Menschentypen unterschiedlicher Qualität«, das heißt von »höheren« und »geringeren« Intelligenzen. Das ist möglich, doch möglich ist ja auch, daß die gesamte Erdatmosphäre derart vergiftet wird, daß innerhalb von wenigen Stunden die ganze Biosphäre zugrunde geht. Bekanntlich gibt es viele Dinge, die möglich sind und trotzdem nicht Wirklichkeit werden. Wenn eine neue technologische Entwicklung sich in ihrer Anfangsphase befindet oder wenn ein bevorstehender Wandel »sich ankündigt«, dann besteht allgemein die Tendenz, das Neue zu verabsolutieren und anzunehmen, daß es von nun an die gesamte menschliche Tätigkeit ausnahmslos beherrschen werde. So ist es in früheren Jahrhunderten gegangen, so ging es noch unlängst mit der Kernenergie (als man glaubte, innerhalb weniger Jahre würden die konventionellen Kraftwerke und Schornsteine beinahe überall den Atomreaktoren weichen). Eine derart übertrieben gradlinige Vorhersage bewahrheitet sich in der Regel nicht. Es ist deshalb denkbar, daß man auch die Programmierung des Erbgutes ebenso vernünftig wie maßvoll betreibt; die angeborene Kenntnis der höheren Mathematik steht jedenfalls nicht im Widerspruch zur Würde des Menschen.
       Die zweite, cerebromatische Art des Vorgehens bedeutet die Umgestaltung des bereits ausgereiften Gehirns. Oben war eigentlich mehr von der Programmierung wissenschaftlicher Information als von der Gestaltung der Persönlichkeit die Rede; daß ein bestimmter Persönlichkeitstyp auf genetischem Wege (über die Chromosomen) sehr viel leichter zu modellieren ist als ein bestimmtes Wissen, versteht sich von selbst. An der im Genotyp enthaltenen Informationsmenge ändert sich nämlich im Prinzip nicht sehr viel, gleichgültig, ob wir den künftigen Herrn Smith als Choleriker oder als Phlegmatiker »projektieren«. Was nun die Cerebromatik betrifft, so stößt das eine wie das andere — die Verwandlung einer reifen Persönlichkeit in eine andere und die Einführung dort nicht vorhandenen Wissens in das Gehirn durch einen Eingriff in das Neuronennetz — auf sehr große Schwierigkeiten. Allem Anschein zum Trotz sind bei diesem Vorgehen größere Hindernisse zu überwinden als bei dem »genetisch-embryonalen«. Es ist leichter, eine Entwicklung von vornherein vorzuprogrammieren, als eine bereits voll ausgeformte
    Dynamik wesentlich zu verändern.
       Diese Schwierigkeit hat zwei Aspekte, einen technischen und einen ontologischen. Es ist schwierig, die Information darüber, wie man radfährt, in das Neuronennetz einzuführen. Sehr schwierig ist es, dem vierzigjährigen Herrn Smith ein »plötzliches« mathematisches Talent »einzupassen«. Dazu wären chirurgische und kybernetische Eingriffe nötig, um irgendwie die neuronalen Kreise (Schaltungen) aufzumachen und biologische, elektronische oder sonstige »Einsätze« anzuschließen. Technisch gesehen, wäre das eine höchst undankbare Aufgabe. Man müßte dazu wenn nicht Milliarden, so doch zumindest Dutzende Millionen von Verbindungen umbauen. Aber auch wenn es in der Rinde nach Lorente de Nó nicht mehr als 10000 wichtige (große) neuronale Schaltkreise gibt, so ist doch zu befürchten, daß jeder einzelnen neuronalen Schaltung als Ganzheit eine gewisse Bedeutung (sowohl als Grundlage des Denkens wie auch als
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