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Die Entdeckung der Virtualität.

Die Entdeckung der Virtualität.

Titel: Die Entdeckung der Virtualität.
Autoren: Stanislaw Lem , Bernd Flessner
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beliebig viele Etappen verteilen, wodurch die Entdeckung wie auch die Beurteilung derartiger Operationen noch mehr erschwert wird.
       Damit ist klar geworden, daß Herr Smith vernünftig handelt, wenn er darauf verzichtet, sich in Casanova oder in einen großen Erfinder »umändern« zu lassen, denn die Welt würde dabei vielleicht einen außergewöhnlichen Menschen gewinnen, doch Herr Smith würde verlieren, woran ihm am meisten gelegen sein muß, nämlich sich selbst. *
       Aber, so könnte man sagen, ist nicht das menschliche Leben von Geburt an über die Zeit der Reifung hinweg ein fortgesetztes »Absterben« der jeweiligen Persönlichkeiten — des zweijährigen Knirpses, des sechsjährigen Schlingels, des zwölfjährigen Milchbarts usw. —, bis schließlich die davon ganz verschiedene Persönlichkeit des Erwachsenenalters entsteht? Und falls sich jemand eine seelische Veränderung wünschte, die der Gesellschaft einen wertvolleren Menschen bescheren würde, als es der Antragsteller bis dahin gewesen ist — warum sollte man ihm diesen Wunsch eigentlich versagen?
       Gewiß kann man sich unschwer eine Zivilisation vorstellen, in der cerebromatische Eingriffe erlaubt sind, und ebenso gut eine, in der etwa Kriminelle einer obligatorischen personoklastischen Cerebromatisierung unterzogen werden. Man muß jedoch deutlich sagen, daß das zerstörerische Eingriffe sind; das »Umsteigen« von einer Persönlichkeit in eine andere ist weder als reversibler noch als irreversibler Prozeß möglich, weil zwischen solchen Metamorphosen eine Periode der psychischen Vernichtung liegt, die mit dem Aufhören der individuellen Existenz gleichbedeutend ist. Man kann also entweder nur man selbst oder niemand sein — mit zwei

    *
    Ob bei einem Eingriff die zum Zeitpunkt T bestehende Persönlichkeit restlos »abgetötet« und zum Zeitpunkt T durc h eine neue Persönlichkeit ersetzt wurde, läßt sich empirisch nicht nachprüfen. Bei der Cerebromatik handelt es sich nämlich um eine stetige »Kursänderung«, und da sich die Vernichtung der vorherigen Persönlichkeit nicht aufdecken läßt, müssen derartige Eingriffe verboten werden. Sehr wahrscheinlich werden kleine »Korrekturen« die Persönlichkeit nicht umbringen, doch wird man — wie in dem Paradoxon mit dem Kahlköpfigen — nicht wissen, wann aus einer harmlosen Retusche ein Verbrechen wird.

    Einschränkungen, die noch gesondert zu besprechen sind. *

    Teletaxie und Phantoplikation

       Die kategorische Feststellung am Ende des vorigen Abschnitts, man könne nur entweder man selbst oder niemand sein, steht nicht im Widerspruch zu den Möglichkeiten der Phantomatik. Wir wissen ja schon, daß Herr Smith, der im Phantomaten das Leben Nelsons »erlebt«, den berühmten Seemann lediglich spielt, also vortäuscht. Nur außergewöhnliche Naivität könnte ihn glauben lassen, er sei tatsächlich jene hervorragende historische Gestalt. Würde er lange genug in der phantomatischen Welt leben, dann würde die Tatsache, daß die Befehle, die er dort als Admiral erteilte, ohne Murren ausgeführt wurden, am Ende sicherlich einen Einfluß auf seine Psyche ausüben, und es wäre zu befürchten, daß er nach der Rückkehr ins Büro - wenn auch nur aus Zerstreutheit — den Befehl gibt, den ersten Prokuristen an der Rahe des Fockmastes aufzuhängen. Geriete er aber als Kind oder Heranwachsender in die phantomatische Welt, dann könnte es sein, daß er die Situation in einem solchen Maße verinnerlichte, daß die Rückkehr zur normalen Wirklichkeit ihm die allergrößten Schwierigkeiten bereiten würde. Vielleicht würde sie sich sogar als unmöglich herausstellen. Sicher ist, daß ein von den ersten Lebenswochen an in einer »HöhlenmenschenVision« phantomatisiertes Kind zu einem ausgewachsenen Wilden werden kann, dessen Zivilisierung dann nicht

    *
    Man könnte aus der früheren Persönlichkeit ihre gesamten Erfahrungen und Erinnerungen in die spätere, künstlich gestaltete Persönlichkeit »hinüberbugsieren«. Auch wenn damit scheinbar die Kontinuität der Existenz gewahrt würde, wären es doch Reminiszenzen, die zu der neuen Persönlichkeit »nicht passen«. Mir ist übrigens klar, daß meine kategorische Haltung in dieser Frage anfechtbar ist.
    mehr in Frage käme. Ich sage das nicht aus Freude am Paradoxen oder zum Scherz, sondern um darauf hinzuweisen, daß die Persönlichkeit nicht etwas Fertiges und die Phantomatik nicht das Pendant eines gewöhnlichen, bloß
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