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Die Entdeckung der Virtualität.

Die Entdeckung der Virtualität.

Titel: Die Entdeckung der Virtualität. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem , Bernd Flessner
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deutlich zu machen — an, wir würden die Smithsche Personenbeschreibung aufgeben; die Kopien seiner Person zeigen sich schon in der Tür der Empfangsgeräte, aber das Original lebt noch immer und weiß von alldem nichts. Dürfen wir davon ausgehen, daß er so lange unter uns weilt, wie wir nicht zum Hammer greifen, und daß dieser Mensch in dem Augenblick, wo wir ihm den Schädel zertrümmern, mit einem Mal auf unbekannte Weise entweder zu einem jener durchtelegrafierten Individuen oder gar zu allen gleichzeitig »wird«!? Was soll ihn eigentlich an das andere Ende der Telegrafenleitung befördern, wenn die Signalübertragung allein das nicht zu leisten vermochte? Etwa der Schlag mit dem Hämmerchen auf seinen Hinterkopf? Offensichtlich ist diese Annahme nicht paradox, sondern schlechthin absurd. Smith wird dahin sein, und zwar für alle Ewigkeit, und somit kann auch von einer telegrafischen Verschickung des Menschen nicht die Rede sein.
       Aber nicht nur die telegrafische Übermittlung der Information über einen Menschen stößt auf dieses Hindernis. Es wäre beispielsweise denkbar, daß in Zukunft jeder Mensch eine »atomare Matrize« seines Körpers besitzt, die in einer »Persönlichkeitsbank« aufbewahrt wird. Die Matrize enthält eine vollständige Aufzeichnung seiner atomaren Struktur, welche sich zu ihm verhält wie der Plan des Architekten zu dem materiellen Haus. Kommt so ein Mensch beispielsweise bei einem Unfall ums Leben, dann begibt sich seine Familie zur Bank, die Matrize wird in den atomaren Synthetisaror eingegeben, und zum allgemeinen Entzücken tritt aus dem Apparat der tragisch Dahingeschiedene hervor und sinkt seinen sehnsüchtig wartenden Angehörigen in die Arme. Nun denn, das ist möglich, doch macht, wie wir ja schon wissen, diese freudige Szene den Tod des »Originals« keineswegs rückgängig. Weil aber in diesem Falle niemand einen Mord begangen hat, sondern lediglich das Opfer eines Unglücks oder einer Krankheit wirksam durch einen »atomaren Doppelgänger« ersetzt wurde, fallen die moralischen Hindernisse fort, die zumindest innerhalb einer bestimmten Zivilisation eine derartige Praxis zu etwas Unannehmbarem machen würden.
       Dagegen läßt sich eine solche Methode nicht anwenden, um sich eine »Existenzreserve« zu schaffen, anders gesagt, um das persönliche Weiterleben zu garantieren. Ob ich nämlich meine »atomare Personenbeschreibung«, die sich erst nach Eingabe in den Synthetisator (die Personenbeschreibung ist, nebenbei bemerkt, nichts anderes als ein Handlungsprogramm) in meinen lebenden Doppelgänger verwandelt, bloß im Schreibtisch oder in der Bank habe oder ob ich schon jetzt, zu Lebzeiten, einen lebenden Doppelgänger besitze, hat auf mein Schicksal absolut keinen Einfluß. Wenn ich in einen Abgrund stürze oder auf andere Weise umkomme, wird mich der Doppelgänger zweifellos ersetzen, aber mein Le ben ist dann beendet. Den Beweis (für die Unmöglichkeit der »Existenzreserve«) liefert die zeitweilige Koexistenz von Original und Kopie. Sie verhalten sich zueinander wie Zwillinge, und es wird doch niemand, der bei Sinnen ist, behaupten, ein Zwilling sei für den anderen eine »Reserve des Weiterlebens«.
       Zuvor hatten wir festgestellt, daß es nicht das Durchtelegrafieren der Information ist, was den Menschen unwiderruflich tötet, sondern die anschließend erfolgende Vernichtung dieses Menschen, die den Anschein erwecken soll, als habe er tatsächlich den Draht in eigener Person bis zum anderen Ende durchwandert. Nun hat es den Anschein, als beruhe die Unwiderruflichkeit des individuellen Todes auf einer Unterbrechung in der Stetigkeit des Daseins.
       Erst hier betreten wir die wahre Hölle des Paradoxen. Bekanntlich verspricht sich die moderne Medizin sehr viel von der Methode der Hibernation, die von Jahr zu Jahr vervollkommnet wird. Einerseits kann man auch den Menschen, der normalerweise keinen Winterschlaf hält, (durch Anwendung entsprechender pharmakologischer Mittel, Unterkühlung des Körpers usw.) in jenen Zustand eines suspendierten, physiologisch verlangsamten Lebens versetzen, wie man ihn bei gewissen Säugetieren (Fledermäuse, Bären) antrifft, andererseits kann man jenen Zustand derart vertiefen, daß er statt dem Winterschlaf immer mehr dem authentischen Tode ähnelt. Dieser Zustand eines reversiblen Todes, nicht nur der Verlangsamung, sondern völligen Stillstands jeglicher Lebensfunktionen wird durch eine sehr starke Auskühlung

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