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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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märchenhaften Platz wohnen würde? Vielleicht dort, bei dem Balkon? Womit hatte er das verdient?
    Das Schloß bildete den Mittelpunkt einer kleinen Ansiedlung. Links war eine junge Schonung, die in einen Nadelwald überging, rechts befanden sich einige kleine Häuser, eine Remise, umgebaute Stallungen und Scheunen. Auf dem Rasen vor dem, was vielleicht früher einmal das Pförtnerhaus gewesen war, mähte ein Mann mit einer Sense um einem kolossalen Findling herum, sah auf und sagte: »Guten Tag, Herr Baron«, was ihm ein wohlwollendes »Guten Tag, Piet« einbrachte. Halb sichtbar zwischen den Gebäuden und Hecken lag eine Orangerie, wo sich ebenfalls etwas tat; unter den Bäumen versuchte ein Ziegenbock weiter zu grasen, als es der Strick um seinen Hals zuließ. Alles sah bewohnt aus, überall standen die Fenster offen. Im Schatten der riesigen Krone einer braunen Eiche am Rande des Schloßgrabens schwammen mit der Majestät ihres erhabenen Daseins zwei schwarze Schwäne, während zwischen den Blättern der Seerosen am Fuße mannshoher Rhododendren eine Schar Enten unfein vor sich hin schnatterte.
    Max hatte das Gefühl, als müsse er sich auf Zehenspitzen bewegen. Das Schloß lag im Wasser wie in einer ausgestreckten hohlen Hand; die Steinbrücke über dem Schloßgraben war Gevers zufolge an die Stelle der ehemaligen Zugbrücke getreten. Auf dem Vorplatz, dessen Pflaster in einem kunstvollen Wellenmuster angeordnet war wie eine liegende Mauer, parkten einige Autos. Als sie die Stufen zum Eingang hinaufstiegen, krachte mit einem lauten Schlag ein Kühlschrank in den Container, und im nächsten Augenblick schaute ein grinsendes Gesicht über das Geländer des Balkons auf sie herunter.
    Ein blauweißes Schild neben der Eingangstür wies das Gebäude als denkmalgeschützt aus. Die eine Türhälfte war offen und mit einem Holzkeil festgeklemmt; bevor Gevers eintrat, zog er seine Stiefel aus und nahm den breitkrempigen Hut ab, was ihn durch den kahlen Schädel plötzlich noch strenger aussehen ließ.
    Im Flur, der mit dunkler Eiche getäfelt war, erschien in einer Tür eine kleine, vornehm gekleidete Dame; Max warf einen kurzen Blick in den großen Saal hinter ihr, in dem er Empiremöbel und wieder einen kleinen Tisch mit gerahmten Bildern erkennen konnte, und über dem Kaminsims einen großen, goldumrahmten Spiegel. Gevers stellte ihm die Dame als »Frau Spier« vor.
    »Herr Delius ist vielleicht der neue Mieter für oben.«
    Sie musterte ihn kurz. Ihre ganze Erscheinung war bis ins letzte gepflegt, nicht ein Haar ihrer Frisur wagte sich aus der Ordnung.
    »Willkommen, Herr Delius. Wenn wir Ihnen irgendwie behilflich sein können, dann wenden Sie sich bitte an uns.«
    »Ihr Mann ist ein bekannter Graphiker«, sagte Gevers, als sie auf die breite Eichentreppe am Ende des Flurs zugingen.
    »Es wimmelt hier überhaupt nur so vor klugen Köpfen, Sie werden da sehr gut hineinpassen. Ich als einfacher Bauerntölpel würde mir in dieser gebildeten Gesellschaft ziemlich deplaziert vorkommen.«
    Die Heftigkeit dieser Bemerkung entging Max nicht. Aus der Art, wie Gevers sich umsah, war zu spüren, daß er nicht gerne hierherkam; vermutlich erinnerte ihn alles an früher und an den Niedergang des Schlosses. Der Direktor hatte ihm erzählt, daß er im Krieg eine führende Rolle im Widerstand gespielt hätte; da die Niederlande ein kleines Land waren, würde er vielleicht auch Onnos Vater kennen. Und das wiederum konnte heißen, daß Gevers wußte, wer Max’ Vater gewesen war.
    Auch im Obergeschoß kamen sie in einen weitläufigen Flur, von dem verschiedene Türen abgingen; die eichene Gediegenheit war dort nicht mehr vorhanden. Durch ein großes Fenster in einem Glasvorbau war der Wald auf der Rückseite des Schlosses zu sehen; auf einer Seite des Raumes standen mit Kunststoffolie abgedeckte Wannen und eingepackte Tonmodelle auf schlanken, hohen Modellierblöcken.
    »Da wohnt ein Künstler«, meldete Gevers mit einer leichten Kopfb ewegung. »Theo Kern, ziemlich eigenartiger Typ.
    Draußen auf dem Gelände hat er noch ein Atelier für größere Arbeiten.« Plötzlich blieb er stehen und sah Max direkt in die Augen. »Das finde ich wirklich bewundernswert, Herr Delius, daß Sie sich um das Kind Ihres Freundes kümmern.
    Das wollte ich Ihnen doch noch sagen; Wirklich bewundernswert.« Ehe Max wußte, was er erwidern sollte, zeigte Gevers auf das gegenüberliegende Appartement, wo alle Türen offenstanden und das reine Umzugschaos

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