Die Entdeckung des Himmels
herrschte. »Aktionsgruppe Ei. Hauptquartier der Revolution in Drenthe. Wird morgen oder übermorgen nach Assen verlegt, um von dort aus die Provinz in proletarische Bereitschaft zu versetzen.«
Der Baron machte nicht gerade den Eindruck, als ob ihm der Auszug dieses Mieters leid täte. Der Mann, der vorhin zu ihnen heruntergeschaut hatte, saß mit einer Frau und einigen Freunden am Boden des Balkonzimmers und trank mit ihnen Tee aus geblümten Tassen. Er war etwa dreißig Jahre alt, hatte langes Haar und zwischen den Zähnen eine dünne Zigarre, die er beim Sprechen nicht aus dem Mund nahm.
»Na, Genosse«, sagte Gevers, »kurze Pause?«
Der Mann nickte kurz und lächelte, stand aber nicht auf.
Die Tatsache, daß Gevers Baron war, schien offenbar auch in dieser Gesellschaft nicht ohne Wirkung zu sein; nur daß es eben hier nicht wie sonst überall für ihn sprach. Leicht spöttisch, aber nicht unfreundlich, sah der Mann auf Max’ Sakko und Club tie.
»Ziehst du hier ein?« Und nachdem Max eine unbestimmte Geste zu Gevers gemacht hatte: »Gratuliere. Etwas wie das hier findest du so schnell nicht wieder. Schau dich nur um, wenn du willst.«
Als Max dem Blick der Frau begegnete, sah er sofort den Haß in ihren Augen.
Im Balkonzimmer, das nach Süden lag, war die Decke hellblau und mit weißen Wolken bemalt, das mußte alles renoviert werden. Durch eine Zwischentür kam man zu einem großen Nebenraum, der über eine verfallene Waschküche mit einem Turmzimmer auf der Rückseite verbunden war. Das konnte möglicherweise das Kinderzimmer werden, und weil Sophia in der Nähe von Quinten schlafen sollte, aber auch in seiner Nähe, ergab sich fast von selbst, daß er das Balkonzimmer in Beschlag nehmen konnte. Gegenüber dem Balkon führte eine Tür zu einer geräumigen Wohnküche, die Aussicht auf den Vorplatz bot; dahinter lag ein weiteres Zimmer, das sich über dem Eingang befinden mußte. Alle Fenster hatten Fensterläden. Aufgeregt sah er sich um. Hier konnten ohne weiteres drei Leute leben. Obwohl alles vollgestellt war, die Regale an den Wänden von Broschüren, Zeitungen und Zeitschriften überquollen und mehrere Vervielfältigungsmaschinen auf Böcken herumstanden, hatte er nur Augen dafür, wie es einmal werden würde.
»Nun?« fragte Gevers, als sie auf dem Balkon standen, der so groß war wie ein Wohnzimmer, und zu dem ehrfurchtgebietenden Wald vis-à-vis des Schloßgrabens hinübersahen, »es gefällt Ihnen wohl nicht.«
Max machte eine Geste der Sprachlosigkeit.
»Ein Geschenk des Himmels«, sagte er.
35
Der Einzug
Als das Appartement zwei Tage später geräumt war, zeigte Max Sophia stolz, was er in Besitz genommen hatte, und auch sie konnte es kaum fassen. Die Zeit, in der Quinten noch im Brutkasten bleiben mußte, brachten sie größtenteils mit der Renovierung der heruntergewohnten Räume zu. Die ersten Nächte schliefen sie in Dwingeloo im Gästehaus, jeder in einem Zimmer; aber noch vor dem eigentlichen Umzug brachte Max mit einem gemieteten Lastwagen die ersten notwendigen Dinge zum Schloß, Matratzen, Bettzeug, Kleider, Küchenutensilien, Bücher. In Dwingeloo kam sie nicht zu ihm ins Bett, und das vielleicht nicht nur wegen der anderen Gäste, sondern weil ihre Tochter dort ihre letzte Nacht bei Bewußtsein verbracht hatte. Vielleicht war es auch die Stille, die sie abhielt. Die ersten Nächte, die er in Dwingeloo verbracht hatte, hatte er als Stadtmensch kaum Schlaf gefunden: die Stille war so tief und vollkommen, daß er das Gefühl hatte, taub geworden zu sein. Das einzige, was er hörte, war sein eigener Puls und das Sausen des Blutes in den Ohren; außerhalb des Zimmers war die Welt im Nichts verschwunden. Erst später war ihm klargeworden, daß es die Stille des Krieges war: damals war es in Amsterdam so still gewesen wie jetzt auf der Heide.
Schon in der ersten Nacht auf Groot Rechteren, wo nur ab und zu der Ruf einer Eule die Stille durchbrach, wurde das geheime Ritual wiederaufgenommen. Mit klopfendem Herzen hatte er im Balkonzimmer auf sie gewartet, und als er sie nebenan aus dem provisorischen Bett hatte aufstehen hören und diesem Geräusch das Knarzen der Klinke und das Quietschen der Tür folgten – es mußte alles noch geölt werden –, war seine Erleichterung womöglich noch größer als seine Erregung. Nicht auszudenken, wenn ihre nächtlichen Besuche für sie nur nach Leiden und zu ihrem verstorbenen Mann gehört hätten!
Zum ersten Mal waren sie täglich zusammen
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