Die Entdeckung des Himmels
folgenden Wochen, die Quinten noch im Brutkasten bleiben mußte, brachten neue Veränderungen.
Der Direktor der Sternwarte hielt Wort: Er hatte für Max einen Termin mit einem alten Studienfreund gemacht, einem Baron Geyers, der ein paar Kilometer südlich der Radiosternwarte bei Westerbork wohnte und in der Umgebung offenbar etwas zu vermieten hatte. Es war ein sonniger Junitag, als Max von Dwingeloo aus nach der Wegbeschreibung des Verwalters losfuhr. Rechts von ihm flackerte die Sonne stroboskopisch zwischen den vorbeisausenden Erlen, und er mußte sich angestrengt gegen ein hypnotisches Gefühl wehren; wie immer wartete er auf die Lücke, wo auf der linken Straßenseite zwei Bäume fehlten. Nach einigen Kilometern Autobahn fuhr er ab und bog an einer verfallenen Scheune in einen kurvenreichen Waldweg ein. Überall lagen noch umgestürzte Bäume, die Kronen für immer winterlich kahl, die aus der Erde gerissenen Wurzeln schon weißlich vertrocknet. Zu seiner Überraschung sah er plötzlich eine Gruppe indonesischer Jungen, die in improvisierten Kampfanzügen durch das Gestrüpp krochen, als sei Krieg, doch schon kurz darauf hatte er das Gefühl, nur geträumt zu haben. Ab und zu wurde der Wald durch Wiesen, einen Bauernhof, Äcker und Maisfelder unterbrochen, schließlich kreuzte der Weg einen unbeschrankten Bahnübergang, und in dem Moment, als er die Herrlichkeit vor sich erscheinen sah, fiel ihm ein, was Goethe, laut Onno, einmal gesagt hatte: Der Mensch fängt an beim Baron.
Das niedrige, weiße, nicht allzu große Gutshaus, das offenbar aus dem Beginn des vorigen Jahrhunderts stammte, machte einen verhalten vornehmen Eindruck. Es schien zugleich auch das Zentrum eines landwirtschaftlichen Betriebes zu sein, denn es war umgeben von Stallungen, einem Heuhaufen und Unterständen für landwirtschaftliche Fahrzeuge. Es hieß ›Klein Rechteren‹ Die Auffahrt führte durch einen gepflegten Rasen, war von großen Findlingen gesäumt und mit Kies bestreut, der unter den Reifen feudal knirschte und sogar den Volkswagen zur majestätischen Langsamkeit eines Bentley zwang. Da sein Gefühl ihm sagte, das Auto besser nicht direkt vor dem Eingang zu parken, stellte Max es in der Nähe eines kleinen Wirtschaftsgebäudes ab. Als er ausstieg, sah er auf dem Dachfirst einen Pfau.
Die Tür wurde von einem mongoloiden Jungen geöffnet, der etwa zwanzig Jahre alt sein mochte. Mit verwunderten Knopfaugen sah er Max an.
»Mama!« rief er gleich mit heiserer Stimme, ohne die Augen von ihm abzuwenden.
Als eine hochgewachsene Dame Ende Fünfzig in der Diele erschien, stellte Max sich vor und drückte anschließend auch die warme, breite, reglose Hand ihres Sohnes, der Rutger hieß, wie sich herausstellte. Im Wintergarten auf der Rückseite des Hauses, wo die Türen zur Terrasse und zum Gemüsegarten offenstanden, bekam er Tee in einer chinesischen Tasse serviert.
»Ich erwarte meinen Mann jeden Augenblick. Wie geht es unserem Jan? Wir haben ihn schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen. Wenn er in Dwingeloo zu tun hat, wohnt er manchmal hier.«
Obwohl der Direktor sie wahrscheinlich über Max’ Lage genau aufgeklärt hatte, spielte sie nicht darauf an, sei es aus Taktgefühl, sei es aus anderen Gründen, jedenfalls fühlte er sich angesichts der distanzierten Höflichkeit ihrer Konversation ein wenig unbehaglich und hatte den Eindruck, daß dies beabsichtigt war. Vielleicht sollte ihm für den Fall, daß er irgendwo hier in der Nähe einziehen würde, von vornherein klargemacht werden, daß dies kein Freibrief für Vertraulichkeiten war. Neben der Baronin stand ein runder Tisch mit eingerahmten Familienfotos und ein Bild mit einem weißen Pferd. Fasziniert sah Max gelegentlich zu Rutger hinüber, der in einem Rattanstuhl mit einer Rückenlehne von enormen Ausmaßen saß und mit herausgestreckter Zunge auf einer Strickliese strickte. Neben ihm lag ein Knäuel violetter Wolle am Boden; mit einer Garnspule, in die drei Nägel geschlagen waren, verwob er einen Wollfaden zu einer Kordel, die inzwischen Dutzende von Metern lang sein mußte und in einem bunten Haufen zu seinen Füßen lag.
»Ganz großer Vorhang machen«, sagte er, als er Max’ Blick begegnete.
Ermutigend nickte Max ihm zu und sah dann zu seiner Mutter.
»Das macht er seit etwa zehn Jahren, diesen ganz großen Vorhang. Ab und zu schneide ich ein Stück ab, sonst kämen wir eines Tages nicht mehr ins Haus.«
»Und das merkt er nicht?«
»Nicht, solange er mich
Weitere Kostenlose Bücher