Die Entdeckung des Himmels
doch ein, daß das alles auf einer mittelalterlichen Legende beruht. Was hältst du von der Vorhaut und dem Schilfk ästchen?«
Quinten schüttelte entschlossen den Kopf.
»Das mag alles stimmen, und wie es gelaufen ist, weiß ich auch nicht, aber ich bin mir ganz sicher, daß die Bundeslade dort im Altar ist.«
»Und ich«, sagte Onno, während er sich jetzt vorkam wie ein Chirurg, der bei einem Patienten das Messer ohne Betäubung ansetzen muß, »bin mir noch sicherer, daß es nicht so ist.«
»Wie kannst du dir da so sicher sein?«
»Weil ich weiß , was drin ist«, sagte Onno, ohne Quintens Blick auszuweichen.
Ungläubig erwiderte Quinten seinen Blick.
»Was denn?«
»Nichts.«
»Nichts?« wiederholte Quinten nach einigen Sekunden.
»Ein leerer Schrank.«
»Woher willst du das wissen?«
»Weil der Altar 1905 geöffnet und geleert wurde. Hier«, sagte Onno und nahm das Buch, das er vom Institut ausgeliehen hatte – unter Angabe seiner Adresse, die jetzt wohl auch nicht mehr lange geheim bleiben würde –, »hier findest du detailliert beschrieben und fotografiert, was sich alles darin befunden hat. Darunter einige in der Tat außergewöhnliche Dinge, die Nabelschnur Christi zum Beispiel und ein Stück des Kreuzes – aber keine Lade. Im Auftrag des Papstes hat Professor Grisar aus Innsbruck alles persönlich in die Vatikanische Bibliothek gebracht, wo du es dir morgen in der Kapelle von Pius V anschauen kannst.«
Quinten blätterte kurz in dem Buch, warf einen Blick auf die Abbildung des verzierten Schreins und legte es wieder auf den Tisch. Es interessierte ihn nicht.
»Und trotzdem«, sagte er, »heißt diese Kapelle ›Sancta Sanctorums Trotzdem sind zwei Engel über dem Altar. Trotzdem steht über dem Altar geschrieben, daß es keinen heiligeren Ort auf der Welt gibt.«
»Er läßt nicht locker!« lachte Onno. »Du traust deiner Intuition mehr als den Fakten. Das ist eine durchaus heroische Eigenschaft, aber du kannst es natürlich auch zu bunt treiben.
Du willst doch hoffentlich nicht sagen, daß hier die Rede von einem Komplott ist, daß zum Beispiel dieses ganze Buch nur deshalb geschrieben wurde, um zu vertuschen, daß die Lade sich sehr wohl in dem Altar befindet.«
»Natürlich nicht«, sagte Quinten. »Ich bin doch nicht verrückt.«
»Aber was bist du dann? Ein Träumer vielleicht? Vergiß es jetzt erst mal, deine Intuition ist, was das angeht, widerlegt worden. Ein andermal hast du nicht so weit danebengetippt. Letztens hast du vermutet, Vespasian hätte vielleicht aus Angst vor dem Gott der Juden die Lade in seinem Palast versteckt. Von einer Lade war zwar keine Rede, aber ich las gestern bei Flavius Josephus, daß er nach dem großen Siegesmarsch über das Forum zumindest den Vorhang des Allerheiligsten in seinen Palast hatte bringen lassen.«
»Das ist aber merkwürdig«, sagte Quinten mißtrauisch.
»Und die kostbaren Sachen aus Gold – den Leuchter und den Tisch für die Schaubrote?«
»Die wurden in einem Tempel ausgestellt. Im Palast waren nur der purpurne Vorhang und das jüdische Gesetz.«
»Das jüdische Gesetz?« Quinten hob die Augenbrauen.
»Was war das?«
»Das ist die Bezeichnung für die Thora, die fünf Bücher Mose. Es wird auch der Gesetzgeber genannt.«
Quinten überlegte kurz.
»Wie soll man sich dieses Gesetz vorstellen?«
»Du hast doch bestimmt schon mal eine Abbildung davon gesehen? Eine große Schriftrolle, wie man sie auch jetzt noch in der Lade jeder Synagoge findet.«
»Wie groß?«
»Ich nehme an, daß die Thorarolle aus dem Tempel von Herodes sehr groß gewesen sein wird. Vielleicht sogar anderthalb Meter lang.«
Quinten nickte.
»Dieses Ungetüm wurde also auch in der Prozession über das Forum mitgeführt.«
»Josephus zufolge kam das jüdische Gesetz als letzte Trophäe vorbei.«
»So?« sagte Quinten. »Aber wenn dieses Ding dem Kaiser so wichtig war, daß er es in seinem Palast haben wollte, wichtiger sogar als die Menora, warum ist es dann auf dem Titusbogen nicht zu sehen?«
»Woher bist du dir so sicher, daß es darauf nicht zu sehen ist?«
»Weil ich vorhin dort war. Und dabei ist mir etwas anderes aufgefallen«, sagte Quinten plötzlich gehetzt. »Die letzte Figur ganz links, ein Mann ohne Gesicht, der also eigentlich diese Schriftrolle hätte tragen sollen, steht herum, als hätte er nichts zu tun, und er steht mit herunterhängenden Armen da.
So«, sagte er und machte es ihm vor. »Seine linke Hand kann man nicht sehen;
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