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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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Zehenspitzen stellte und die Straße hinauf und hinunter absuchte.
    Auch jetzt verwandelte er sich nicht schlagartig in einen monogamen Liebhaber: von Montag bis Freitag setzte er sein zeitraubendes erotisches Leben auf die gewohnte Art und Weise fort. Aber am Wochenende, wenn Ada bei ihm war, löste er sich von dieser Zwangsvorstellung. Nicht, daß er dann entspannt vor dem Fernseher saß oder einen Krimi las oder sich um häusliche Dinge kümmerte, denn was sich entspannen bedeutete, hatte er nie verstanden und würde es auch nie verstehen. Daß er je ein Spiel spielen oder sich sportlich betätigen oder auch nur einen Spaziergang machen würde, war undenkbar. Selbst in den Urlaub nahm er ausschließlich Studienmaterial mit und ließ keine Kirche und kein Museum unbesichtigt; und wenn er in der Sonne lag, dann nicht, weil er es angenehm fand, sondern weil er braun werden mußte: es war weniger das Sonnenbaden als vielmehr die Bestrahlung seines ganzen Körpers, seiner Seitenflächen inklusive der Innenseiten der Arme und Beine, nach einem genauen Schema. Auch das war Arbeit. Wenn er nicht arbeitete oder hinter irgendwelchen Frauen her war, sah er in eine bedrohliche Leere, die mehr war als nur Langeweile. Aber wenn er hinter den Frauen her war, wollte er eigentlich arbeiten, und wenn er arbeitete, wollte er lieber Frauen aufreißen, mit dem Ergebnis, daß er nie zur Ruhe kam. Wenn jemand darüber eine Bemerkung machte, sagte er: »Die ewige Ruhe kommt schon noch – darauf brauche ich keinen Vorschuß.« Aber jetzt, mit Ada, lebte er auf entspannte, fast spießige Weise, er wollte nichts mehr und machte sich darüber manchmal Gedanken. War er dabei, in Richtung Ehe zu degenerieren? Auf sein Drängen hin nahm Ada jetzt die Pille.
    Seine Gespräche mit Onno gehörten zu seiner Leidenschaft, aber mit Ada lag die Sache anders. Er war nicht verliebt. Verliebt war er sozusagen in alle Frauen, außer nun gerade in Ada. Wenn er eine Frau ansah, so war es ihm fast immer, als könne er mit seinen blauen Augen auf den Grund ihrer Seele schauen; und vielleicht war das tatsächlich so, vielleicht spürten die Frauen das, und vielleicht lag hier der Schlüssel zu seinen Erfolgen, derentwegen er in den Kneipen beneidet und gehaßt wurde. Wenn er jedoch Ada ansah, schien dies seinen Abstand zu ihr eher zu vergrößern. Er begriff nichts von ihr, für ihn hatte sie den undurchdringlichen Blick eines Wesens aus einer anderen Welt, und genau das war es, was ihn an sie band. Er empfand ihre Anwesenheit in seinem Haus nicht als die eines Hundes, der keine Geheimnisse vor dem Menschen hat, sondern als die einer Katze, die per se ein Geheimnis ist, und eben deshalb fühlte er sich frei und unbedroht. Und wie ein Hund zu einem Menschen gehört, die Katze aber zu einem Haus, so fügte sich Ada in die Ordnung seines Appartements ein und wurde ein Teil von ihr. Hunde werfen Tische um, graben Kissen aus den Sesseln und tragen mit erhobenem Kopf alles mögliche aus dem Wohnzimmer; Katzen berühren nicht einmal das, was sie berühren, es sei denn, sie schlagen die Krallen in den Teppich. Wenn Ada ein Buch auf den Tisch legte, lag es so, als ob er es hingelegt hätte: mit dem Titel nach oben, nicht auf einem anderen Buch, das kleiner war, und nicht schief, sondern im goldenen Schnitt zwischen Aschenbecher und Tischrand, und parallel zu diesem Rand. Nie würde sie eine Zeitung nicht zusammenlegen. Wenn er von seinem Schreibtisch aufb lickte und sie auf der Couch sitzen sah, wie sie Gedichte von Rilke las, saß sie genau so, wie sie sitzen sollte. Das hatte er noch nie erlebt, daß jemand, zwanglos und ohne daß es in eine verkniffene Ordentlichkeit ausartete, dasselbe natürliche Empfinden für Proportionen hatte.
    Sie redeten wenig, und auch das gefiel ihm. Musicienne du silence. Reden konnte man mit jedem, fand er, zusammen zu schweigen, ohne daß es peinlich wurde, war wesentlich seltener. Nur wenn Onno da war, wurde ununterbrochen geredet.
    Wenn er etwas an seinem Schreibtisch zu tun hatte, führte Onno in einem leicht väterlichen Ton lange Gespräche mit Ada, das war die einzige Möglichkeit, wie er seine Sympathie ausdrücken konnte – oder vielleicht war es eher der Ton eines Schwiegervaters. Ada fiel jedesmal auf, daß auch Max viel mehr mit ihr redete, wenn Onno da war: es schien, als würde sie in Onnos Beisein jemand anderer für ihn. Ohne Onno hätte er ihr zum Beispiel nie so geduldig erklärt, daß in der modernen Physik das

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