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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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zu.
    »Oder bist du antideutsch? Hörst du lieber Purcell?«
    »Mich selbst kenne ich bereits.«
    »Wie meinst du das?«
    »Daß ich lieber dich kennenlerne.«
    Als sie zögernd den Gürtel des Bademantels löste, legte er sich die Hände über die Augen, bis sie neben ihm unter dem Laken lag. Auf einem Ellbogen richtete er sich auf und sah sie an. Sie sah, daß er eigentlich etwas sagen wollte, aber obwohl er nichts sagte, kam es ihr später so vor, als hätte er es doch gesagt; dann drückte er seinen Mund auf den ihren, nahm sie fest in die Arme und schob sich halb über sie. Sie begann zu zittern und flüsterte:
    »Bitte, sei vorsichtig, tu mir nicht weh …«
    Max begriff sofort, daß es für sie das erste Mal war. Er mußte sie also entjungfern, und bei jeder anderen hätte er jetzt einen Vorwand gefunden, um sich der Sache zu entziehen. Kopfschmerzen. Morgen früh aufstehen. Jedesmal, wenn er es auf sich genommen hatte, war es ihm sauer hochgekommen: monatelang hörten die in Frauen verwandelten Mädchen nicht auf, ihn anzurufen oder zu besuchen, selbst wenn er sie eigentlich schon vergessen hatte. Wer eine Frau entjungferte, nahm in ihrem Leben einen Platz ein, der nur zu vergleichen war mit dem des Arztes, der sie zur Welt gebracht hatte, oder desjenigen, der ihr beim Sterben half. Aber jetzt, mit Ada, fiel ihm im Traum nicht ein, aufzuhören.
    Wie ihr Cello hatte sie ihn zwischen den Schenkeln, und langsam, Millimeter für Millimeter, zurück und dann wieder vor, fühlte sie ihn in sich eindringen, und zugleich kam es ihr so vor, als legte er sich um sie, die immer weiter in ihm verschwand. Als sie spürte, daß er ihr Hymen berührte, klammerte sie sich ängstlich an ihn, es fühlte sich an wie ein Auge, wie die Blende eines Fotoapparats. Sie wollte nach ihrer Mutter rufen, aber plötzlich füllte Max sie vollständig aus.
    Schluchzend und lachend begann sie ihn zu küssen, und er hielt inne und bewegte sich nicht mehr. Tief in ihrem Bauch spürte sie sein Blut pulsieren, offenbar versuchte er, seiner Erregung Herr zu bleiben; als das zu scheitern drohte, verschwand er aus ihr, legte sich neben sie und nahm sie in den Arm.
    »Vielleicht sollten wir es für heute dabei belassen.«
    Sein väterlicher Ton verblüffte sie, aber sie war ihm dankbar. Sie sagte nichts, die Platte war zu Ende, und sie lauschte dem Heulen des Windes in den Bäumen vor dem Haus. Da lag sie nun plötzlich in Amsterdam mit einem Astronom im Bett, der ihr einen Strich durch die dummen Gedanken der letzten Jahre gemacht und einen neuen Abschnitt ihres Lebens eingeleitet hatte. Sie schmiegte sich enger an ihn und seufzte tief.
    Auch er horchte dem Wind nach. Er sah das Haus: hell und warm von innen, und draußen die nasse, kalte Nacht.
    »Was meinst du«, fragte er, »wenn wir jetzt aufs Dach steigen, und ich drücke aus meinen Füller einen Tropfen Tinte und lasse ihn gegen ein Blatt Papier wehen: wie groß ist dann die Wahrscheinlichkeit, daß in meiner Schrift dasteht: Ich will nicht , daß Ada bei mir bleibt ?«
    »Es ist unmöglich.«
    »Die Wahrscheinlichkeit ist zwar nicht gleich Null, aber vermutlich ist das All zu klein, um die Tinte zu enthalten, ehe es geschieht.«

8
Eine Idylle
    In den darauffolgenden Wochen sahen sie sich täglich in Leiden, spazierten in der Mittagspause durch den Botanischen Garten, tranken in der Kantine der Sternwarte Kaffee oder aßen abends in der Stadt chinesisch. Am Wochenende nahm er sie mit nach Amsterdam, manchmal mit dem Cello auf dem Rücksitz. Diese Samstage und Sonntage gaben ihm eine Ruhe, die neu war. Er hatte schon mehrmals längere Verhältnisse gehabt, aber sie hatten an seiner Unruhe nichts geändert; wenn die Freundinnen bei ihm waren, wollte er am liebsten weg, auf die Straße, in die Kneipe – nicht um zu trinken, das interessierte ihn nicht, oder um entspannt mit jemandem zu plaudern, sondern um nach einer anderen Ausschau zu halten. Der Gedanke, daß irgendwo in der Stadt eine Frau unterwegs war oder allein an einem Kneipentisch saß, während er zu Hause seine Zeit mit seiner Freundin vertat, war unerträglich. Manchmal erschien ihm eine solche Frau sogar in einer Art Vision: er sah genau, wie sie aussah und wo sie war, in welcher Kneipe, an welchem Tisch. Es war schon vorgekommen, daß er unter einem Vorwand aus dem Haus ging und hinrannte, und wenn sie dann nicht dort saß, kam das schlicht daher, daß er gerade zu spät gekommen war – woraufh in er sich draußen auf die

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