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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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Hände in die ihren: sie waren wohlgeformt, wie auch der Rest seines Körpers, nicht zu breit und nicht zu schlank, nur seine Daumen waren beide kurz und spatelförmig.
    »Daraus sauge ich mir das alles«, sagte er.
    »Von wem hast du das?«
    »Keine Ahnung. Vielleicht von meinem Vater. Vielleicht auch von mir selbst. Dadurch kann ich gerade eine Oktave anschlagen, aber weiter komme ich nicht. Wie heißt noch mal dieser Pianist, der sich die Hände operieren ließ, um größere Akkorde fassen zu können, und danach nicht mehr spielen konnte?«
    »Keine Ahnung«, sagte Ada und legte seine Hände in seinen Schoß. »Und warum ist Eis für Pastoren?«
    »Weil sie sich selbst was Gutes tun müssen natürlich, weil es sonst niemand tut.«
    Ada sah ihn weiterhin an und nickte.
    »Du liebst ihn, nicht?«
    »Natürlich liebe ich ihn.«
    Max’ Augen wurden plötzlich feucht. Erstaunt sah Ada es geschehen. Sie wußte nicht, was sie davon halten sollte, aber plötzlich hatte sie das Gefühl, die Mutter der beiden zu sein.
    »Sagt ihr euch alles?«
    »Alles.« Glücklicherweise fragte sie nicht, ob er ihn mehr liebe als sie. »Wir erzählen uns sogar, was wir nie jemandem erzählen würden. Das ist wahre Freundschaft.«

9
Die Dämonen
    Als die Sonne ihren höchsten Stand im Wendekreis des Krebses erreichte, am Anfang des Sommers also, wurde in Amsterdam zum Abschluß der unruhigen Saison und in froher Erwartung noch unruhigerer Zeiten eine politisch-musikalische Kundgebung veranstaltet. Seit dem Aufstand im letzten Jahr war Amsterdam, um es mit Onnos Worten zu sagen, besetzt von niederländischen Truppen; uniformierte Bauernsöhne christlicher Herkunft beherrschten vorübergehend die Stadt, und jetzt war die Befreiung fällig, auf die die unwiderrufliche Unterwerfung der Niederlande von Seiten Amsterdams folgen würde. Unter den Organisatoren des Festes war offenbar jemand, der einmal ein Konzert von Ada und Bruno gehört hatte, denn auch sie wurden eingeladen. Es würde ihr erster Auftritt in Amsterdam sein, und obwohl es kein richtiges Konzert war, schien es immerhin eine große Ehre. Ada sträubte sich dagegen, vor einem Publikum zu spielen, das mit ihrer Art von Musik erwartungsgemäß wenig anfangen konnte, aber sie mußte den Sprung irgendwann wagen und brachte Bruno so weit, das gemeinsame Musizieren wiederaufzunehmen. Jeder würde dasein, versicherte ihr Max. Die Politik sei das neue Volksamüsement, wie es seit dem Krieg nicht mehr dagewesen sei und so bald wohl auch nicht wiederkommen werde; er schätzte den Zeitraum auf 22 Jahre: 1945, 1967, 1989 … Vor dem Auftritt wollte Ada mit anderen Musikern noch etwas essen gehen, Max würde sie nachher im Künstlerfoyer treffen, und sie würde dann bei ihm übernachten.
    Auch Onno kam mit. Seit er mit dem Diskos von Phaistos in eine Sackgasse geraten war, war sein Interesse an der Politik allmählich gewachsen; schließlich beschäftigte sich auch Chomsky mittlerweile mehr mit der Politik als mit der Sprachwissenschaft, er befand sich also in bester Gesellschaft.
    Seine instinktive Sympathie lag bei den anarchistischen Provokateuren und Revolutionären, und Max ging es genauso, aber er wußte von Haus aus, daß sie mit ihren rabiaten Auffassungen nicht den Hauch einer Chance hatten. Die Niederlande haßten die Radikalität; radikale Theorien aus dem Sumpfdelta der Rheinmündung waren unschädlich gemacht worden, die Praxis bestand in der Theologie, aus Handeln und Feilschen – Max, mit seinem gefährlichen, auswärtigen Charakter, brauchte sich darüber keinerlei Illusionen zu machen: Erasmus hatte hier das Sagen, es gab in den Niederlanden nur einen Weg, und das war der Mittelweg. Und in der Politik ging es um die Macht, und um nichts anderes. Was blieb dann noch übrig? Die Sozialdemokraten waren mittlerweile ebenso erstarrt wie die christlichen Parteien. Eine Splitterpartei wie die Kommunisten oder die Sozialpazifisten vielleicht? Aber das war ja wohl, Verzeihung, ein ganz anderer Menschenschlag. Zwar war eine linksliberale Partei gegründet worden, die vor einigen Monaten bei den Wahlen großen Erfolg und nun sieben Sitze im Parlament hatte, aber obwohl sie von einem Onno sehr ähnlichen Menschen geführt wurde, auch aus derselben Generation, kam ihm dieser Klub zu unhistorisch vor; zudem verdächtigte er die Partei, sich für kosmetische staatliche Reformen nur deshalb einzusetzen, um sozialökonomische zu verhindern.
    »Du wirst doch nicht tatsächlich in die Politik

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