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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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immer gegen mich verwenden.«
    »Gewöhne du dir erst deine Scheu vor Paradoxa ab. Soll ich dir sagen, was vielleicht auf deinem Diskos steht?«
    »Jetzt bin ich aber wirklich gespannt.«
    »Da steht: Was hier steht , ist unlesbar. «
    »Sehr gut«, grinste Onno, »sehr gut. Vielleicht wurde er von Epimenides beschriftet, der behauptete, alle Kreter lögen.«
    Ada schwindelte. Ihr war, als sei sie Zeugin eines intellektuellen Florettgefechts, das blitzende Leuchten der Waffen kam zu schnell, als daß sie ihnen hätte folgen können. Wie könnte sie bei diesem Tempo je mithalten? Aber vielleicht war das gar nicht nötig, vielleicht sogar gar nicht erwünscht; vielleicht sollte es ganz und gar ihre Sache bleiben.
    Als Max wegen der jüngsten Messungen Floris’ in Dwingeloo anrief, stellte Onno sich ans Fenster, steckte die Hände in die Hosentaschen und sagte halb zu sich selbst, halb zu Ada: »Das ist gar kein botanischer Garten, das ist ein hortus conclusus , wenn du weißt, was das ist.«
    »Es tut mir leid, ich war nur auf dem Konservatorium.«
    »Der ›geschlossene Garten‹, in dem ein Einhorn lebt. Das ist ein schrecklich wildes Tier, das nur mit Hilfe einer Jungfrau gefangen werden kann, denn dann bettet es seinen Kopf in ihren Schoß. In der Ikonographie steht das für die unbefleckte Empfängnis.« Er drehte sich um, lächelte ihr zu und sagte: »Paß nur gut auf dich auf, Mädchen.«

    Daß sie mitgehen würde nach Amsterdam, war offenbar für alle selbstverständlich, auch für sie. Als Max fragte, ob sie nicht vielleicht kurz zu Hause anrufen wolle, sagte sie: »Aber nein.«
    »Rechnen denn deine Eltern nicht zum Essen mit dir?«
    »Vielleicht schon.«
    Max’ Auto stand auf dem Vorplatz, der Beifahrersitz wurde nach vorne geklappt, und sie konnte sehen, wie sie quer hinter den beiden Sitzen Platz fand. Der Wind hatte kräftig aufgefrischt, und nachdem sie die Trommeln mit den Lochbändern im Recheninstitut abgeliefert hatten, fuhren sie aus der Stadt. Unterwegs erkundigte sich Onno behutsam, ob Max keine Probleme damit habe, daß er irgendwann nach Westerbork müsse, wenn die Spiegel dort fertiggestellt seien.
    »Ist das in der Nähe des ehemaligen Durchgangslagers?«
    »Es ist auf dem Lagergelände«, sagte Max und spürte, daß etwas in seinen Wangen sich spannte. »Da sind jetzt Molukker untergebracht.«
    »Wann ist es soweit?«
    »Vermutlich Ende nächsten Jahres.«
    Onno nickte. Sie sahen sich kurz an und schwiegen.
    Nachdem Onno in der Kerkstraat abgesetzt worden war, gingen Max und Ada in einem italienischen Restaurant, L’Arca, wo man beim Eintreten dem Besitzer die Hand gab, essen. Unter einer Decke voller Plastiktrauben und leerer Chiantiflaschen unterhielten sie sich über Onno, über ihre Eltern, über die Arbeit, und als sie den Spaghetti mit dem Messer zu Leibe rücken wollte, brachte er ihr bei, die Nudeln mit der Gabel aufzurollen, ohne den Löffel zu Hilfe zu nehmen. Danach ging sie mit ihm nach Hause.
    Alles verlief mit der unerbittlichen Präzision einer Variation von Bach. Sie wußte, daß es jetzt plötzlich soweit war. Jetzt würde es geschehen, und das war es auch, was sie wollte – was sie vom ersten Augenblick an gewollt hatte. Natürlich hatte sie hin und wieder einen Freund gehabt, und auch zu Knutschereien war es gekommen, zu schwitzendem Ringen auf dem Bett, Studentenhände hatten versucht, in ihr Höschen zu schlüpfen, und Musikantenknie wollten sich zwischen ihre Schenkel zwängen, aber das Ende kam immer, wenn einer mit bebenden Fingern versuchte, dabei seine Hose aufzuknöpfen, es war jedesmal der Beginn von atemlosen Streitereien mit wirren Haaren und zerknitterten Kleidern, und manchmal setzte es zum Abschluß sogar Ohrfeigen. Nie war es wirklich dazu gekommen. Der Gedanke daran hatte in ihr eher ein leichtes Ekelgefühl hervorgerufen als ein Gefühl des Verlangens. Daß Männer immer darauf aus waren, lag in ihrer Natur, in ihrem ›positiven‹, nach außen gestülpten Bau begründet: ein Penis war wie der Finger eines Handschuhs, aber eine Vagina war wie ein nach innen gezogener Handschuhfinger, und daß auch manche Frauen so triebhaft waren, war ihr ein Rätsel. Es war wie der Unterschied zwischen einen Besuch abstatten und Besuch bekommen: man konnte, wenn man wollte, jeden besuchen, aber man ließ doch nicht jeden zu sich herein! Warum sollte man eigentlich überhaupt jemals jemanden zu sich hereinlassen? Ohne viele Gedanken darüber zu verschwenden, hatte sie

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