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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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Roman liest.«

    Am Morgen danach – der Kongreß neigte sich dem Ende zu – fuhren die Delegierten in aller Frühe zum Flughafen, von wo aus sie nach Oriente fliegen würden, in die heiße Provinz im äußersten Südosten der Insel. Auf dem Programm standen zwei Tage Sierra Maestra; mit einer Tafelrunde von zwölf Mann hatten die Rebellen vor elf Jahren ihren Kampf in diesem Gebirge begonnen. Obwohl das Gerücht kursierte, daß el líder máximo dort erscheinen würde, blieben Max und Onno in Havanna. Adas Flugzeug sollte am folgenden Nachmittag abfliegen, sie selbst würden drei Tage später abreisen. Deshalb hatten sie unter Protest von Onno beschlossen, ihren letzten gemeinsamen Tag am Strand von Varadero zu verbringen.
    Guerra würde dafür sorgen, daß um zehn Uhr ein Auto bereit stand, und dann würden sie Ada im Hotel Nacional abholen.
    Um halb zehn saß Onno wie vereinbart an der schattigen Bar, die das Schwimmbecken vom Speisesaal trennte. Max schlief offenbar noch seinen Rausch aus. Es war ruhig geworden im Hotel. Nachts hatte es gestürmt, der Bademeister schöpfte mit einem Netz Blätter und Insekten vom Wasser; der Barmann kontrollierte mit einer Liste die Flaschen in seinen Regalen. Am anderen Ende der Bar saß eine Frau mit einem Glas vor sich, Whisky vermutlich. Onno dachte an seine Gespräche mit den Delegierten, mit denen er meistens in ihrer Sprache hatte reden können, an den rabiaten Tumult, der überall in der Welt wütete und von dem nur ein Bruchteil bis zu ihm in die Niederlande vorgedrungen war, das heißt, er versuchte daran zu denken, denn obwohl die Frau nicht in seine Richtung schaute, spürte er eine fast mit Händen zu greifende Verbindung zwischen ihnen. Beunruhigt ging er mit sich selbst zu Rate. Was war das? Mit einem Gefühl, als wäre er jetzt schon dabei, Ada zu betrügen, bat er um die Rechnung. Er würde Max in seinem Zimmer anrufen und sagen, er warte in der Hotelhalle. Während er den Coupon unterschrieb und sich abermals überlegte, in welcher Form er das alles bezahlen sollte, spürte er, daß die Frau zu ihm herübersah. Er erwiderte ihren Blick, und mit einem Lächeln machte er eine kleine, seitliche Bewegung mit dem Kopf, als wollte er sagen, daß es ihm leid täte, aber es sei leider nichts zu machen, er sei nun einmal ein Trottel.
    Als er in der Hotelhalle zur Telefonzelle ging, sah er sie hinter sich die Treppe herunterkommen. Er begriff sofort, was passiert war. Sie hatte seine Kopfb ewegung ganz anders aufgefaßt, nämlich als: Komm, laß uns gehen – subtil ausgeführt, um den Barmann zu täuschen. Nach kurzem Zögern ging er auf sie zu, er saß in der Falle, es gab kein Entrinnen. Und eigentlich wollte er das auch nicht mehr. Sie war Mitte Dreißig, eine schlanke, üppige Frau, dunkelblond, mit tiefb raunen Augen und einer Haut im Farbton von Haselnüssen.
    »Laß uns gehen«, sagte sie ernst.
    An ihrem Akzent hörte er, daß sie Kubanerin war. Sie sah gepflegt aus und wirkte fast bourgeois; vielleicht war sie eine gusano , wie das hier hieß, ein konterrevolutionärer Wurm , der lieber heute als morgen in die Vereinigten Staaten wollte. Aber wie kam sie in dieses hermetisch abgeriegelte Hotel? Er nickte und ging mit ihr hinaus. War das alles so einfach? Er hätte diese Kopfb ewegung nie zu machen gewagt mit der Bedeutung, die sie ihr gegeben hatte. Das war eher etwas für Max.
    Er streckte die Hand aus und sagte:
    »Onno Quist.«
    »Maria.«
    Als er sich neben sie in ihr Auto setzte, das sich in einem relativ guten Zustand befand, fragte er sich, was ihm eigentlich einfiel. Er wollte zum Strand, es war Adas letzter Tag, es war unmöglich, er mußte sofort zurück. Aber dazu war es plötzlich zu spät. Der Soldat an der Auffahrt grüßte, als sie vorbeifuhren.
    »Ich muß kurz telefonieren«, sagte er.
    »Das kannst du bei mir machen. Wir sind gleich da.«
    Sie sah kurz zur Seite und lächelte traurig. Es war Sonntag, die Straßen waren leer, und nach wenigen Minuten fuhren sie einen eleganten Boulevard hinunter, mit Rasen und Bäumen auf dem Mittelstreifen und ab und zu einem großen Schild mit Parolen wie: Wo der Tod uns auch überrascht , er sei willkommen. Früher hatten hier offenbar die Reichen gewohnt; jetzt waren in den luxuriösen Häusern Botschaften und zu einem großen Teil auch Studentenunterkünfte und verschiedene Institute der Universität untergebracht. Auch hier lagen überall Zweige und Blätter auf der Straße. Sie stiegen vor einer kleinen

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