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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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aufb ringen können, begrüßten sie und Marilyn sich durch das Fenster. Guerra stieg wohlerzogen aus und ließ sie auf dem Rücksitz zwischen sich und Max Platz nehmen. Kurz darauf fuhren sie an der felsigen Küste entlang ins Landesinnere.
    »Wie findest du ihn denn«, fragte Max Ada, »diesen ehemaligen Kalvinisten, der bei den Kommunisten in eine katholische Messe geht. So etwas erfindet man doch nicht.«
    »Das geht eben nur auf Kuba.«
    »Sieh mal. Sogar die Erde ist hier rot.«
    Auf der rechten Seite stand mehr als mannshoch Zuckerrohr im roten Lehm, ein idealer Schlupfwinkel für Gesindel, das ungesehen an Land kommen wollte. Max hatte erwartet, daß sonntags reger Verkehr auf der Straße herrschen würde, aber als Folge der Benzinrationierung fuhren die meisten Kubaner mit dem Zug. Überall lagen vom Sturm abgerissene Zuckerrohrblätter auf der Fahrbahn, und es lag eine merkwürdige Stille über dem Land und dem Meer.
    Auch Ada spürte es.
    »Bleibt die Frage, ob wir morgen überhaupt abreisen können. Bruno hat gehört, daß bei Haiti ein Zyklon tobt, der vielleicht über Kuba zieht. Fancy. «
    »Das wäre dann der sechste in diesem Jahr.«
    »Woher weißt du das?«
    »Weil das F der sechste Buchstabe im Alphabet ist. Nicht nur das Volk, auch die Katastrophen werden in dieser Gegend alphabetisiert. Darüber sollte ich gelegentlich mit Onno reden, aber der hört jetzt wahrscheinlich gerade das Kyrie eleison. «
    Zum ersten Mal roch er wieder ihren Duft und spürte mit dem Oberschenkel ihre Wärme, aber er empfand das lediglich als etwas Vertrautes. Er saß hinter Jesus, so daß er einen Teil von Marilyns Gesicht sehen konnte. Unter ihren Ohren, auf der Rundung ihres Kiefers, glühten die Flaumhärchen wie kleine Lichtflecke. Paolo Uccello. Piero della Francesca. Kalaschnikow. Wie sollte er das demnächst in Holland begreiflich machen? Die Holländer würden Kuba genausowenig verstehen wie das, was in der DDR oder in Polen vor sich ging.
    In dem klapprigen Wagen zog sich die Fahrt fast zwei Stunden hin. Im kühlenden Fahrtwind erzählte Guerra von der Revolution, an der er nicht in den Bergen teilgenommen hatte, sondern in Havanna. Der städtische Widerstand gegen das korrupte Batistaregime, vor allem von Studenten und Intellektuellen, habe ebenfalls viele Todesopfer gefordert und sei immer im Schatten der Guérilleros geblieben, weil zu viele Leute hinterher behauptet hatten, sie seien im zivilen Widerstand gewesen. Das sei fast nicht nachvollziehbar.
    »Niemand hat je zu behaupten gewagt«, sagte er, während er sich vorbeugte und Max ansah, »daß er in der Sierra Maestra gekämpft hat, wenn das nicht der Fall war. Aber in unübersichtlichen Situationen gibt es immer wieder Leute, die das ausnutzen und sich für etwas anderes ausgeben, als sie sind.«
    Er nickte und lehnte sich wieder zurück.
    Max erstarrte. Wußte er Bescheid über die niederländische Delegation? Ließ er ihn das jetzt kurz spüren? Oder bildete er sich das nur ein? Natürlich wußten sie es! Sie wußten es schon längst! Wenn sie es nicht wüßten, könnte ihr Staat gar nicht existieren! Aber sie beließen es dabei, weil es ihr Fehler war. Sie wußten schon längst, daß sie es nicht mit vielversprechenden Leuten des Widerstandes zu tun hatten, sondern mit einem lächerlichen Astronomen und einem unbedeutenden Kryptographen, der sich aus Liebhaberei ein wenig mit ziviler Politik beschäftigte. »Laß nur«, hatte jemand zwischen dem In-den-Mund-Stecken und dem Anzünden einer Zigarre gesagt, »das sind Kinder«, und mit einer Disziplinarstrafe für das schwarze Mädchen am Flughafen war die Sache erledigt.
    Er sah kurz zu Ada, aber sie machte nicht den Eindruck, als hätte sie eine verschlüsselte Nachricht erhalten. Am liebsten hätte er jetzt alles gebeichtet, zugegeben, daß sie zu Unrecht an der Konferenz teilnahmen und natürlich alle Kosten begleichen würden – aber angenommen, er irrte sich: was halste er sich dann auf?
    Plötzlich rief Jesus:
    »Fidel!«
    Max war, als hätte er einen Schock bekommen. Vor ihnen fuhr eine Kolonne Militärfahrzeuge. Aus dem hintersten Fahrzeug wurden sie entspannt, aber aufmerksam beobachtet von zwei schwerbewaffneten Soldaten, einer mit einem Feldstecher und einer mit Funkgerät. Durch eine Geste wurde ihnen bedeutet, Abstand zu halten. Die Stimmung im Chrysler hatte sich schlagartig geändert. Jesus wandte den Kopf nach hinten und sagte noch einmal: »Fidel!« Ada lehnte sich nach vorne,

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