Die Entdeckung des Himmels
während sie ihre Papiere am Eingang vorzeigten.
»Deine Entrüstung macht auf mich wirklich einen schrecklich aufrichtigen Eindruck. Vor allem, weil sie von jemandem kommt, der selbst zu Unrecht gratis in einem First-Class-Hotel wohnt und ißt auf Kosten der Bevölkerung eines Dritte-Welt-Landes.«
»Schweig, Elender! Ich werde alles auf irgendeine Weise doppelt und dreifach zurückzahlen. Geldwechsler werden jedenfalls aus dem Tempel geprügelt.«
Mittags wurde die niederländische Delegation companero Salvador Guerra Guerra vorgestellt, einem mageren Mann von etwa fünfzig Jahren, mit schütterem, grauem Haar, hohlen Wangen und Handgelenken so schmal wie Besenstiele. Er stehe ihnen jederzeit zur Verfügung als Dolmetscher, Fremdenführer und Ratgeber. Zudem wurde von ihm erwartet, daß er die Mahlzeiten mit ihnen einnahm. Für Guerra war offenbar vor allem letzteres lebenswichtig. Während des Mittagessens, das aus drei Gängen bestand und an dem alle Delegierten teilnahmen, erzählte er, daß er vor nicht allzu langer Zeit eine schwere Magenoperation gehabt habe: nur im Habana Libre könne er hoffen, wieder etwas zuzunehmen. Er wolle sich nicht weiter aufdrängen, wenn er gebraucht werde, könne man im Kongreßbüro nach ihm fragen. Nicht ein einziges Mal erkundigte er sich nach ihrem politischen Status in den Niederlanden – diesem herrlichen Land, wie er sagte, mit seiner herrlichen, revolutionären Geschichte, das sich vor vierhundert Jahren als erstes gegen die spanische Vorherrschaft gewehrt habe. Auf Kuba sei das erst vor hundert Jahren geschehen.
»Ja«, sagte Onno zu Max, »da fällt dir nichts mehr ein. Die haben hier eine bessere Meinung von den Niederlanden als wir selbst.«
»Aber vor zehn Jahren«, fuhr Guerra fort, »hat Kuba die Niederlande dann doch einigermaßen eingeholt.«
Nach dem Diner, das aus vier Gängen bestand, mit französischem Wein, gingen sie mit Ada zum Kammermusikfestival, wo am Abend Ensembles aus einigen Ostblockländern auftreten sollten. Guerra hatte gesagt, daß sie selbstverständlich über ein Auto mit Chauffeur verfügen könnten, weil sie sich aber erst noch an die Vorstellung gewöhnen mußten, daß sie hier leben konnten wie die Millionäre, hatten sie ein Taxi in die Altstadt genommen. Im Konzertsaal begrüßten sie Bruno, der bereits jeden kannte und sich verhielt, als wohne er schon seit Jahren in Havanna. Als das Konzert vorbei war, nahm Onno Ada mit auf sein Zimmer im Habana Libre. Wie auch im Hotel Nacional saß eine dicke Dame mittleren Alters an einem Tisch neben dem Fahrstuhl, die ihn vorwurfsvoll ansah, als ob sie seine Mutter wäre; als er ihr zublinzelte, strahlte sie mitwisserisch.
Max war noch geblieben. Seine Kenntnisse über Beethovens Große Fuge in B-Dur, Opus 133, von einem bulgarischen Quartett aufgeführt, hatten auf eine kubanische Medizinstudentin großen Eindruck gemacht, eine große Frau mit langen, schlanken Fingern, die sie hoch auf seinen Oberschenkel legte, als er ihr erzählte, daß das Stück aus dem Schlußteil von Opus 130 entstanden sei. Um dies weiter zu vertiefen, gingen sie in eine Bar, in der es so dunkel war wie in den entferntesten Tiefen des Alls. Die einzige Beleuchtung kam von glimmenden Zigarren und Zigaretten; der Ober, der sie durch Hitze, Gitarrenmusik und unsichtbares Rascheln und Kichern zu ihrem Platz führte, ließ seine Taschenlampe höflich senkrecht auf den Boden scheinen. Auf einer Bank an einer hohen Holzwand tranken sie ihren Son, das kubanische Pendant zur Coca-Cola, und begleitet von unaufh örlichem Stöhnen und Krachen in den benachbarten Sitzecken arbeiteten sie sich vor bis zur Grande Fugue , tantôt libre , tantôt recherchée. Um die letzten fugatischen Geheimnisse zu lüften, gingen sie danach einige Straßen weiter in eine posada. An der Kasse bekamen sie jeder ein Handtuch und ein Stück Seife und mußten zehn Minuten auf dem Gang warten: auf der einen Bank von weiß bis schwarz die Männer, auf der gegenüberliegenden die Frauen. Als auch das erledigt war und er durch die nächtliche Stadt schließlich zu seinem Hotel spazierte, saßen überall noch Leute vor ihren Häusern auf der Straße, alle Fenster und Türen waren offen, und er hatte zum ersten Mal wirklich das Gefühl, nicht mehr in Europa zu sein. Am Eingang wurde er wieder kontrolliert, und in der Hotelhalle grüßte er Angel, den Ober, der sie bei Tisch bediente, und der mit »Pst!« gerufen werden mußte. Jetzt trug er eine blaue
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