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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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Villa mit einem gepflegten Garten aus.
    Die Haustür führte direkt in ein weißes, gefliestes Wohnzimmer, das für holländische Begriffe so gut wie leer war.
    Auch die Wände waren kahl, bis auf ein gerahmtes Bild über dem Buffet: ein breit lachender Mann von etwa vierzig Jahren, in Uniform und mit einem Bart, auf dem Kopf ein großer Hut mit breiter Krempe, wie die Zuckerrohrschneider sie trugen; seinen Arm hatte er um die Schultern von Maria gelegt, die ebenfalls lachte, aber ein wenig zusammengedrückt wirkte angesichts der vitalen Gewalt neben ihr. Als Onno den Bart sah, das revolutionäre Adelszeichen, beschlich ihn das Gefühl, sofort fliehen zu müssen: zur Haustüre hinaus und so schnell die Beine ihn trugen über den Boulevard; der Mann konnte jeden Moment hereinkommen und ihn sofort über den Haufen schießen, den Rauch aus der Pistole blasen und in ein fettes Lachen ausbrechen. Kaum stürzte er, Onno, sich einmal in ein Abenteuer, geriet er in eine derartige Situation. Selbst schuld. Verdienter Lohn. Er hatte sich in Schwierigkeiten gebracht, also mußte er jetzt auch die Folgen tragen. Wo der Tod uns auch überrascht, er sei willkommen. Dr. h. c. Onno Quist , Den Haag 6. November 1933 – Havanna 8. Oktober 1967.
    Er setzte sich in einen Korbsessel und rief im Hotel Nacional an. Während er auf seine Verbindung wartete, fragte Maria, ob er einen Whisky wolle.
    »Nichts lieber!« sagte er mit so viel Nachdruck, daß sie lachen mußte.
    Als er Adas Stimme hörte, schämte er sich und bereute erneut. Er hatte sagen wollen, er sei in die Stadt gegangen und hätte sich verirrt, er sei in einer Viertelstunde im Hotel, aber er tat es nicht.
    »Hallo?« sagte sie erneut.
    »Ja, ich bin’s.«
    »Hallo! Max hat sicher verschlafen, oder? Er hat gestern zuviel getrunken. Macht nichts, ich sitze hier auf dem Balkon und genieße die Sonne.«
    »Nein, das ist es nicht, oder vielleicht doch, vorhin war er noch nicht da.«
    »Was ist denn los? Bist du jetzt nicht in deinem Hotel?«
    »Nein. Macht es dir etwas aus, wenn ich nicht mitfahre?«
    »Ach, ich hab’s mir schon gedacht. Du am Strand, das hätte mich auch gewundert. Was wirst du heute machen? Wo bist du?«
    »In der Kirche«, sagte Onno feierlich, während er zusah, wie Maria ihre Gläser mit Eis füllte.
    »In der Kirche?« wiederholte Ada lachend. »Beten für die Revolution?«
    »Ich möchte einmal sehen, wie das hier zugeht. Nachher findet ein feierliches Hochamt statt.«
    »Hör mal, soll ich auch kommen? Wo ist die Kirche?«
    »Geh du nur ans Meer mit Max. Es ist deine letzte Chance, übermorgen bist du wieder in Holland in Sturm und Regen.«
    »Macht es dir wirklich nichts aus?«
    »Ich sehe euch ja heute abend. Aber ruf ihn gleich an, denn er weiß noch nichts.«
    »Mach ich.«
    »Also gut. Bete für meine Seele.«
    Als er den Hörer auf die Gabel gelegt hatte, nahm er das Glas, das ihm hingestellt worden war, in die Hand und nahm einen großen Schluck.
    »Welche Sprache hast du jetzt gesprochen?« fragte Maria und setzte sich auf die Couch.
    »Die Sprache des heroischen niederländischen Volkes.«
    Die Ironie dieser Antwort entging ihr.
    »Die Niederlande haben eine hervorragende Geschichte«, nickte sie, während sie sich eine Zigarette anzündete. »War das deine Frau?«
    Onno seufzte tief.
    »Meine Freundin. Woran hast du das denn bemerkt?«
    »An allem.«
    »In Kuba seid ihr genauso schrecklich wie überall.« Er deutete auf das Foto. »Ist das dein Mann?«
    »Nicht mehr.«
    Erleichtert sah er sie an. Er erwartete, daß sie in irgendeiner Form Verständnis für diese Erleichterung zeigen würde, aber ihr Gesicht blieb unbewegt. Plötzlich wurde er von einer neuen Unsicherheit erfaßt. Vielleicht war sie Geheimagentin, vielleicht sollte sie herausfinden, wie sich das nun eigentlich verhielt mit diesen beiden Niederländern auf der Konferenz, von denen niemand je etwas gehört hatte, die nie das Wort führten und jetzt auch nicht mitgeflogen waren zur Sierra Maestra.
    »Warum tragen diese Ritter noch immer ihre Bärte aus der Guerillazeit?«
    »Weil sie geschworen haben, ihre Bärte erst abzunehmen und die Uniformen erst dann auszuziehen, wenn die Revolution in ganz Lateinamerika vollendet ist.«
    Sie stand auf und nahm aus einer Schublade des Buffets ein großes Foto, das sie ihm reichte.
    »Das ist mein Mann.«
    Onno verzog das Gesicht vor Ekel. Es war derselbe Mann, aber jetzt lag seine nackte Leiche auf einem Katafalk, schmutzig und voller Blut,

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