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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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mit schwarzen Einschüssen in der Brust und mit wirrem, klebrigem Haar, ein Auge war noch halb geöffnet.
    »Mein Gott!« sagte er und sah sie entsetzt an. »Wo ist das passiert?«
    »In Bolivien.«
    Er wußte nicht mehr, was er sagen sollte. Er stand auf, legte das Foto zurück in die Schublade, schob sie zu und setzte sich wieder. Jetzt war alles klar. Als Witwe eines gefallenen Helden waren ihr von seinen Freunden Privilegien eingeräumt worden, ein schönes Haus, ein Auto, Benzinmarken und Whisky schon am frühen Morgen. Vielleicht hatte sie auch Kinder. Er wollte fragen, tat es dann aber doch nicht. Schweigend sah er sie an.
    Sie erwiderte seinen Blick und klopfte dann zweimal leicht mit der Hand auf den Platz neben sich.

18
Der Fluchtpunkt
    Mit schwarzem Kaffee und Mineralwasser versuchte Max an der Bar seine Kopfschmerzen zu vertreiben. Er hatte über Kuba merkwürdige Dinge geträumt, vollkommen eingeschneit hatte es in einem gefrorenen Polarmeer gelegen – an mehr konnte er sich nicht erinnern. Es war fast zehn Uhr. Gerade als er Onno auf seinem Zimmer anrufen wollte, um zu fragen, wo er bleibe, klingelte das Telefon. Der Barmann nahm ab, sah ihn an und fragte:
    » Companero Delius?«
    Es war Ada. Onno sei in die Kirche gegangen und fahre nicht mit.
    »Dein merkwürdiger Verlobter sitzt also lieber im Weihrauch als in der Sonne«, sagte Max. »Und was machen wir?«
    »Sag du. Wie fühlst du dich nach dem gestrigen Abend?«
    »Ich habe Kopfschmerzen. Sie werden entweder in der Sonne schlimmer, oder sie verschwinden am Meer. Laß uns gehen, ich habe mich schon darauf eingestellt; in den Schatten kann ich mich immer noch setzen. In zehn Minuten bin ich bei dir.«
    Er nahm seine Tasche mit den Badesachen und ging in die Hotelhalle, wo Guerra Granma las, die Parteizeitung. Er trug ein weißes, besticktes Hemd, das zugleich eine Jacke war.
    » Towarischtsch Quits ist religiös verhindert«, sagte Max, »es tut ihm leid, aber er ist beten gegangen für die Revolution.
    Meinetwegen können Sie auch in Havanna bleiben, wir kommen schon zurecht.«
    Davon wollte Salvador Guerra Guerra jedoch nichts hören.
    Es sei Sonntag, es würde voll sein in Varadero, und ohne ihn würden sie nicht an den richtigen Platz kommen; außerdem müßten sie ja auch etwas essen.
    »Und ich bin für Ihre Sicherheit verantwortlich. Wir kommen durch ein Gebiet, wo ständig Terrorkommandos aus Florida an Land gehen. Darf ich Ihnen vorstellen … companera Marilyn.«
    Er machte eine Geste zu einer jungen Frau in grüner Uniform und schweren Stiefeln, die mit einem feinen, messerscharfen Lächeln auf den Lippen auf sie zukam. Schräg vor den Brüsten trug sie eine kleine, aber bedrohlich aussehende Maschinenpistole. Sie war etwa in Adas Alter und unterschied sich von ihrer filmischen Namensgenossin durch einen intelligenten, wachsamen Blick aus grünen Augen, der allerdings auch ein wenig verschleiert war. Max’ Kopfschmerzen ließen sogleich etwas nach. Er schüttelte ihr die Hand und wußte, daß er jetzt nicht »Monroe« sagen durfte, denn das tat natürlich jeder. Dennoch konnte er es sich nicht verkneifen, über einen Umweg darauf anzuspielen: »Du siehst blendend aus. Es scheint sogar eine Doktrin nach dir benannt worden zu sein.«
    Sie verstand sofort. Die nordamerikanische Monroe-Doktrin, die sich gegen eine Einmischung von außen auf der westlichen Halbkugel wandte, hatte vor fünf Jahren in der Kuba-Krise eine Rolle gespielt. Marilyn sprach fließend Amerikanisch, und als er ihr deswegen ein Kompliment machte, sagte sie, sie sei Amerikanerin, aus New York, wo sie Kunstgeschichte studiert habe, wolle darüber aber kein Wort verlieren. Sie sei jedenfalls US-Bürgerin geblieben, und wenn ihre Eltern erführen, wo sie sei und was sie hier treibe, trauten sie sich nicht mehr auf die Straße. Ihr Nachname solle also besser ungenannt bleiben.
    »Was glauben denn deine Eltern, wo du bist?«
    »Die denken, daß ich mich in Europa herumtreibe und Museen besuche. Daß ich in Italien die Perspektive studiere, bei Paolo Uccello und Piero della Francesca.«
    »Was natürlich auch wichtig ist.«
    »Aber auf sehr andere Weise.«
    Mit einem anerkennenden Blick auf ihren Hintern folgte er ihr nach draußen, wo Jesus im Auto auf sie wartete. Mit der Kalaschnikow auf dem Schoß setzte sie sich neben Jesus, und sie fuhren über die stille Rampa zum Hotel Nacional.
    Ada stand bereits am Eingang. Mit der Herzlichkeit, die nur Frauen sofort füreinander

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