Die Entdeckung des Lichts
nicht kennen. Vielleicht würde Davy ihn nun in Ruhe lassen. Beim Blick aus dem Fenster hatte sich nichts verändert. London, die freigiebige Mutter, zeigte Gleichmut.
»Das musst du selbst wissen«, würde Margaret Faraday sagen, nicht ohne Stolz. Riebau würde sagen, es sei nur ein logischer Schritt getan worden, ein erster Schritt. Einige langsam gesprochene Sätze später stand Faraday auf, die beiden Männer verabschiedeten sich in eine gemeinsame Zukunft.
Vor dem Haus sah Faraday in den Himmel. Dann bog er gleich rechts herum, ohne auf die Straße zu sehen. An der T-Mündung ging er wieder rechts, in die Grafton, dann links und rechts in die Clifford, ohne Ziel, und erst sechs bis sieben Hausecken weiter hielt er kurz an und überlegte, wohin er musste.
De la Roche schwieg als Antwort auf die Neuigkeit, und Faraday hätte sich nicht gewundert, wenn er tätlich angegriffen worden wäre: Dass dieser junge Bursche sein Erbe zurückweisen würde! Der Ladeninhaber aber drehte sich nur weg und hieß Faraday mit einer Handbewegung, das Geschäft zu verlassen. Auf den ausstehenden Lohn verzichtete Faraday. Er hatte längst überall verlauten lassen, »dort nicht bleiben zu können«.
7 Die Royal Institution
Detailliert verhandelte Faraday seinen Vertrag. Das Gehalt betrug im Ergebnis fünfundzwanzig Schillinge die Woche, er bezog zwei Räume unterm Dach. Sie hatten nur auf ihn gewartet. Seine Aufgabe war mit »oberstem Flaschenspüler« sehr gut umrissen, sodass sich die moralische Überlegenheit noch in Grenzen hielt. Aber er war im Paradies. Er würde eigene Experimente machen dürfen, wenn das Labor frei war.
Am ersten März betrat er morgens das Labor im Keller der Institution . Vorsichtig ging er zwischen den Tischen umher, auf denen Schalen, Gläser und Tröge standen. Hier glänzte silbrig eine Pfütze Quecksilber, dort wuchsen Kristalle aus einer Säure die Wände ihres Behältnisses empor. Eine Art Pfeife befand sich auf einem der Tische, Nebel stand in ihrem senkrechten gläsernen, nach oben offenen Rohr. Nichts fasste er an. Es roch nach Wissen und nach Wollen und nach Können. Die Luft schmeckte gut auf der Zunge, vielfältig, und würde jeden Tag Neues bringen. Er würde sich in diesem Keller nicht enttäuschen.
Einige Tage lang half er John Powell einen Vortrag vorzubereiten, in dem es um Rotationsbewegungen ging. Powell redete viel über Flachs, dass man ihn wohl auch in England anbauen könne und dann Russland Konkurrenz mache, es sei bald egal, wer da regierte.
An Abbott schrieb Faraday, er habe mit Davy Zucker aus einem Stück Roter Beete isoliert, warum auch immer. Sie probierten den Sprengstoff aus Chlor und Stickstoff erneut aus, der Davy schon einmal verletzt hatte, und es gab »mehrere kleine Explosionen«. Eine kostete Faraday einen halben Fingernagel, mit den Augen hatte er Glück, denn er trug eine Glasmaske.
Als Nächstes führten sie Chlorstickstoff auf »trockenes gekochtes Quecksilber«, schütteten noch mehr Quecksilber dazu, ließen es über Nacht darauf stehen, und am Morgen war es verschwunden. Am Grund fand sich korrodiertes Quecksilber, darüber Stickstoff, und als sie das Ganze wiederholten, steckte doch eine Glasscherbe in Faradays Augenlid.
Im Mai begann er einen Brief aus seinem Paradies an Abbott so: »Der Mönch verzichtet auf alle Genüsse und sogar auf einfache Dinge, nach denen seine Natur ruft, um den Körper zu züchtigen, um sinnliche Gier und weltlichen Appetit zu kasteien. – Der Geizhals macht genau dasselbe, aus gleich starken, aber sonst seiner Lieblingspassion diametral entgegengesetzten Gründen, und lässt jede Annehmlichkeit des Lebens ungenutzt. Nur ich habe ohne Grund das vernachlässigt, was eine meiner größten Freuden ist und was ich mit größtem Anstand genießen darf – bis eben wie das Licht des elektrischen Blitzes der Gedanke an Abbott durch meine Seele schlug.«
Er hatte keinen eigentlichen Grund für seinen Brief. Nachdem er sich nach Abbotts verletztem rechten Daumen und Zeigefinger erkundigt hatte, nach der Feststellung, dass auch das nicht für das Ausbleiben von Abbotts Korrespondenz herhalten könne, fügte er mit einer Handschrift, deren Krakeligkeit dem Seegang der Gefühle in nichts nachstand, an: »Ich hatte früher mit einem Brief von dir gerechnet.«
Von seinen beiden Räumen konnte er zum Hotel Jacques hinübersehen, wo ein Fest stattfand und von wo die Musik herüberwehte. Er rannte bei jedem neuen Stück ans Fenster, um
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