Die Entdeckung des Lichts
Reise gewesen?«
Wissen natürlich.
»Aber welches Wissen? Wissen der Welt, der Menschen, der Lebensarten, der Bücher und Sprachen. Alles Dinge, die an sich nicht zu überschätzen sind und mir doch nur jeden Tag zeigen, dass sie nur für die niedrigsten Absichten verwendet werden. Wie degradierend ist es, zu lernen, und dann doch nur auf einer Stufe zu stehen mit Schurken und Halunken? Wie abstoßend, zu verstehen, dass nur Schliche und Täuschung um einen herum sind?«
Die Kenntnis der Welt, meinte er, öffne einem nur die Augen für die Korruptheit und dafür, wie gemein die Leidenschaften der Menschen seien. Er fühlte sich nicht weiser als zuvor, im Gegenteil. Ernüchtert war er, und das tägliche Gerenne zum Postamt, auf dem monatelang kein Brief auf ihn wartete, brachte ihn um den Verstand. Vierzig Tage brauchte jede Post, ob frankiert bis Florenz oder Calais. Er hoffte, dass seine Briefe ihre Ziele erreichten. Die Chancen stiegen seines Wissens nach, wenn ein Teil des Portos vom Empfänger beglichen wurde, was Abbott, so fügte er gleich hinzu, hoffentlich nichts ausmachte. Die Schulden hatte er immer gehofft, bald tilgen zu können.
Jetzt dachte er über die Überquerung des Kanals hinaus nur noch bis zur Ankunft. Undeutlich stellte er sich vor, wieder Buchbinder zu sein, und fand das so gut oder schlecht wie alles beliebige andere, das sich ihm bieten würde. Er war sich ja keineswegs sicher, die frühere Stelle in der Institution wieder zu bekommen. Er wusste auch nicht, ob er sich darum bemühen sollte.
Jeder sah seinem Mantel an, welche Mengen an Wind, Regen und Sonne er hinter sich hatte, Faradays Gesicht war gebräunt wie nie zuvor und nie wieder danach. So fiel er seiner Mutter in die Arme, die bloß »mein Michael« sagte und ihn lange festhielt. Er sagte gar nichts, einfach, weil er lange keine Luft bekam.
Nachdem dann am Küchentisch alles erzählt war, was er zu greifen bekam, nachdem er ein paar Tage später alles auch mit Abbott besprochen hatte, machte ihm die Institution das Angebot, in seine Position und die beiden Zimmer unterm Dach zurückzukehren.
»Soll ich annehmen?«, fragte er die Mutter, die nicht extra antworten musste, sondern ihm nur einen entschiedenen, liebevollen Blick zurückgab. Wie »im Krieg« gab Faraday sich gar im Streit um die Räume, die besetzt waren und erst geräumt werden mussten.
Da saß er also nach anderthalb Jahren frischer Luft wieder in der Albemarle Street. Auf der Reise war er schon »bei exzellenter Gesundheit« gewesen. So gut wie nie zuvor war sie, und nie wieder in seinem Leben würde sie so sein. Mit weniger Illusionen als das erste Mal saß er da, mit der Ansicht, dass man über negative Dinge mit etwas Abstand milder urteilt als im Moment der Erfahrung, mit der Überzeugung, dass Menschen einen Weg nur gehen, wenn er mit Blumen bestreut ist. Er hatte die Gewissheit, dass die Möglichkeiten, im Leben etwas auszurichten, äußerst begrenzt waren. Vorsichtig entwickelte er auch ein Gefühl dafür, wie leicht es möglich war, im Leben nichts von dem zu erreichen, was man angestrebt und sich ausgemalt hatte, bevor man gezwungen wurde, zurückzusehen. Sein Glück war der Alltag. Dass die Zeit stetig weiterlief. Dass er arbeitete.
Wellington war jetzt Herzog.
Marschall Blücher, ein Mann mit ausladender Stirn und der Neigung zu agieren, bevor es nötig war, hatte sich den Zunamen »Vorwärts« eingehandelt, der im preußischen Heer wie in der englischen Führung mit mehr Furcht als Ehrfurcht ausgesprochen wurde und mit einer Menge von dem, was in der Truppe unabdingbar war: Galgenhumor der ganz trockenen Sorte.
Aus verschiedenen Richtungen bewegten sich Herzog Wellington und Marschall »Vorwärts« Blücher mit ihren Armeen dem noch unverändert kleinen und giftigen und längst mit einem Kugelbauch versehenen Buonaparte durch den Matsch Europas entgegen, während die Davys in italienischer Wesensart vollkommen aufgegangen zu sein schienen. Sie lebten ihre Emotionen vor so vielen Leuten aus, dass in allen Kreisen der Gesellschaft Einzelheiten debattiert wurden. Jane Davys Cousin zufolge verhielten sie sich wie Katze und Hund, und Faraday dachte: Wie Lichtteilchen und Lichtwelle. Auch da war keine Harmonie in Sicht. Jane Davy sagte man nach, Vorbild für die auf neue Art selbstbewusste Heldin Corinne gewesen zu sein, eines beliebten, in Italien spielenden Romans der Madame de Staël. Viele glaubten das, viele nicht. Davys Bruder meinte in einem
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