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Die Entdeckung des Lichts

Die Entdeckung des Lichts

Titel: Die Entdeckung des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Bönt
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stünde, überfiel ihn, der seit Jahren nicht gut geschlafen hatte, in diesem Moment die Müdigkeit eines ganzen Lebens. Er brauchte Sauerstoff und unterdrückte gerade noch ein Gähnen, zu müde, um eine Hand zu heben. Keine Stunde saß er bei ihr, dachte er, nicht viel länger jedenfalls, er rieb sich erschöpft die Augen.
    »Äußerst gern«, sagte sie.
    Sie überging das abrupte Ende des Gesprächs, keineswegs unangenehm berührt von seinen Blicken, aber irritiert von seiner sprunghaften Art. Sie lächelte, und seine Angst vor einem Fauxpas beruhigte sich wie ein Schiff, das im Sturm endlich quer zu den Wellen stand. Er musste diese Position jetzt noch ein paar Sätze lang halten.
    Wann es ihm passe.
    Das war jederzeit.
    Faraday war schon aufgestanden, das Weinglas war noch halb voll.
    Ada Lovelace rief nach dem Diener, sie lächelte enttäuscht und erhob sich ebenfalls, schritt in ihrer Aura, in der Faraday vielleicht hätte wohnen dürfen, wäre das für ihn infrage gekommen und hätte er sich das zugetraut, mit in den Empfangsraum, wo sie sich verabschiedete.
    Er schlief zu Hause sofort ein und schlief wie ausgeschaltet die ganze Nacht durch.
    Am nächsten Vormittag kam sie nicht. Auch am Nachmittag blieb er unbehelligt, obwohl er zweimal nach oben lief, um dem Pförtner zu sagen, man dürfe Lady Lovelace durchlassen, man möge bei Nachfragen einer Dame nach ihm den Namen der Person erfragen, »und Lady Lovelace einlassen«, ergänzte der Pförtner beim zweiten Mal korrekt, um zu zeigen, dass er bereits beim ersten Mal verstanden hatte.
    Erst am Sonntag erhielt er einen weiteren Brief, sie habe weder gestern noch Freitag kommen können, »wegen all der Verpflichtungen und des Regens«.
    Faraday las langsam weiter: Er solle sich nicht sorgen, zu einfach oder grob für sie zu sein. Er wisse nicht, wie ärgerlich Lobhudelei und Etikette für sie seien, oft gehe sie unerkannt aus, geradezu nachlässig gekleidet. Sie müsse dann mit vielen Leuten umgehen und selbst auf sich aufpassen, das sei nur gut, ein Training für die intellektuelle Existenz. Sie sei in Eile und vermutlich unklar, schloss sie den kurzen Brief, es wäre besser, wieder einmal zu reden: »Wir müssen über Pflichten und Wissenschaft reden, das nächste Mal.«
    Aber der Schildkröte war es nicht geheuer in der Welt. Sie zog ihre Glieder und den Kopf wieder ein, und auf die nächsten Einladungen reagierte er immer unsicherer und orientierungsloser, weil er keinen Ort erkannte, an den diese Kommunion führen konnte. Was die Gräfin keineswegs davon abhielt, vom St. James’s Square Boten mit kleinen, mal verspielten, mal ernsten und immer sehnsüchtigen Nachrichten zu schicken, die große Wirkung auf den Empfänger hatten. Es kamen immer Einladungen, die ihn vor Probleme stellten.
    Im Februar war ihr gemeinsamer Ton der von Ada gewünschte, Faraday kam ein anderer, wegen Erkältung und Grippe verschobener Termin dazwischen, er wollte sie aber sehr wohl sehen und kündigte sich für halb zehn oder zehn abends an, auf eine halbe Stunde: »Solange Sie nicht sagen, das sei zu spät.« Dabei vergaß er über der Vorstellung, sie so spät am Tage zu sehen, wie er im Postskriptum anfügte, ganz, für ihren freundlichen Brief zu danken und für den Bericht über ihre Gesundheit.
    Aber je enger das Netz ihrer Ansprüche wurde, die ihn ganz einbinden wollten in ihr Leben, desto mehr lavierte er und integrierte, was nicht zu integrieren war. Er schob auf, bis er platzte und einen Abend um sein Pult herumschlich, ohne zu wissen, was er ihr schreiben sollte. Er hatte an den Gasgesetzen gearbeitet, hatte sich gefragt, wie die Übergänge für Quecksilber, Zink und Kalium, die im flüssigen Zustand undurchsichtige Metalle, im gasförmigen aber transparent oder gar farblos seien, mit dem Gesetz der Kontinuität von Lavoisier übereinstimmen könnten. Er regte sich auf dabei und versuchte sich nicht aufzuregen, bis er ihr absagte, ihr, die, wenn sie in London war, nur sechs, sieben Blöcke entfernt wohnte beziehungsweise eben: residierte und darauf wartete, ihn zu sehen und zu sehen und zu sehen.
    Er rang mit sich, irrte im Keller umher, um sein Stehpult wieder und wieder herum, konfus, wie ein Esel, der sich zwischen zwei Heuhaufen nicht entscheiden kann und Gefahr läuft, beide aus dem Blick zu verlieren.
    Er wusste nicht, was er schreiben sollte. Bis er sie ohne jede Formalie wissen ließ, sie treibe ihn »in die Verzweiflung«. Und ihr absagte. Er werde nicht

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