Die Entdeckung des Lichts
kommen.
Zitternd faltete er den Brief zusammen, ließ drei Tropfen Wachs von der Kerze auf die Stoßkanten fallen, und als er endlich getroffen hatte, presste er sie aufeinander. Oben würde er den Brief gleich dem Portier aushändigen, damit er, wie schon so oft, einen Laufburschen zum St. James’s Square hinüberschickte. Gut so.
Auf einen Zettel schrieb er: »Erklärung: Wenn ich sage, dass ich momentan nicht in der Lage bin, viel Gespräch auszuhalten, dann heißt das ohne Mehrdeutigkeit, ohne auslegbare Bedeutung und denkbare Implikation, ohne Vorwand und zweite Absicht, dass ich es, zu schwach im Kopf und unfähig zur Arbeit, nicht kann.«
Den Zettel zerknitterte er und beförderte ihn wütend in eine Ecke unter dem Tisch. Er würde auch morgen arbeiten, er publizierte fortwährend, gab Vorlesungen. Seine Tage waren zwar Irrläufe, sein Leben eine Reise, deren Verlauf jemand auf ein knittriges, jederzeit zerreißbares Stück Papier gekritzelt hatte, in das seine widerstreitenden Gedanken fortwährend Löcher bohrten, aber er würde nicht zulassen, dass jemand daraus ein Schiffchen bastelte, das man auf der Themse aussetzen konnte, damit es bei Ebbe langsam und mit Schlagseite außer Sichtweite geriet.
Es klopfte: Sarah. Er werde gleich kommen, sagte er, warf sich aber kurz darauf den Mantel über und ging aus dem Haus. Sarah hätte ihn theoretisch von oben die Straße hinunterlaufen sehen können.
Draußen sog er die Luft durch Nase und Mund. Offenbar war er noch am Leben. Nicht mal nur in eine Richtung bewegte es sich, nicht nur bergab. Er dachte an den kommenden Tag, den er im Frieden seines Kellers verbringen würde, allein mit den Gasgesetzen, an denen er arbeitete, die ihm nie unberechtigte Vorwürfe machten und ihn nie zu etwas zwingen wollten. Den Inhalt seines Briefes an die Gräfin und sie selbst zu vergessen, ließ er seinem löchrigen, eingerissenen Geist gern zu. Es war genau, was er wollte.
8 Der Faraday-Effekt
Er wollte sich ab morgen, das war ihm jetzt klar, nur noch mit dem Brief von William Thompson beschäftigen, den er am Nachmittag bekommen hatte.
Thompson war einundzwanzig, Mathematiker. Welch langen Weg er genommen hatte, um sich mit seinen Arbeiten zu den Kraftlinien anzufreunden, konnte Faraday nicht wissen. Das war sehr gut so. Im Vorjahr hatte Thompson seinem Tagebuch noch anvertraut, wie heftig ihn die Art abstieß, mit der Faraday in den Experimentellen Erforschungen der Elektrizität von den Phänomenen »redete«.
Wie es sich mit so einer Abneigung in der Regel verhält, hatte sie einen Grund. Der junge Mann konnte sich von ihr auch nicht losreißen, und je mehr er sich auf sie einlassen wollte, desto unsicherer wurde er. Mit jedem überprüften Detail erodierte die Ablehnung ein Stück, bis sie kaum noch zu halten war und schließlich ins Rutschen kam. Sein negatives Urteil verwandelte sich ins Gegenteil, und plötzlich war er sehr glücklich damit, Faradays Ansichten zu verstärken: Thompson jubilierte jetzt. Er würde Faradays Erkenntnisse verbessern, ausbauen, jedem verständlich machen, der lesen konnte und die Dinge auch nur ein wenig genau nahm. Faradays Ansichten seien, schrieb er, in Übereinstimmung mit den Rechnungen seiner Theorie.
Das Vorspiel nicht ahnend las Faraday von gekrümmten Linien, induktiver Wirkung, schwarzen Flächen, einem in allen Richtungen gleich hellen Himmel, von weißen Papierschnipseln in gleicher Größe, Analogien, wieder von Linien, deren Krümmung vernachlässigt wurde, vom Kosinus einer Neigung, der Hypothese Amadeo Avogadros und seinem, Faradays, elften Teil der Experimentellen Erforschungen im Zusammenhang mit Coulombs delikaten, unsicheren Messungen.
Thompson jedenfalls, so viel war zu verstehen, schrieb an einer Arbeit, welche zeige, dass alle ultimativen Ergebnisse der Abstoßung und Anziehung vollkommen mit einer Theorie übereinstimmten, die auf Faradays Ansichten beruhte: »Wenn meine Ideen richtig sind, dann sind die gekrümmten Linien der Induktion für jedwede Kombination elektrisch geladener Körper vollständig berechenbar.« Die Kraft wäre eine rein geometrische Angelegenheit. Er habe übrigens alles von der mathematischen Theorie der Wärme hergeleitet.
Faraday überflog ungeduldig eine Seite weiterer Erklärungen bestimmter Fälle in einer ausnehmend hässlichen, leblosen und fühllosen Sprache, wie sie nur ein Mathematiker übers Herz brachte. Falls er eins hatte. Am Ende wies der junge Thompson darauf hin, dass
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