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Die Entdeckung des Lichts

Die Entdeckung des Lichts

Titel: Die Entdeckung des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Bönt
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wegen der er als Dreijähriger zu einem ratlosen Arzt transportiert worden war, von dem seine Mutter noch ratloser wieder nach Hause zurückkehrte. Oder an die Unart der damaligen Haushälterin, Albert »den Depperten« zu nennen.
    Hermann Einstein drehte an einem Knopf seiner Weste. Das hatte Albert bislang nur bei Jakob gesehen, am Tag seiner Hochzeit. Pauline fummelte am Kragen ihres Mannes.
    Vom Giebelfenster sah Jakob in den Hof hinunter, wo Höchtl gerade das Sattelpferd heranführte. Er war ihr Mann fürs Grobe, und seine Atemwolke vermischte sich mit der des Pferdes, zumindest sah es von oben so aus. Jakob hatte von Benz einen Motorwagen ausleihen wollen, aber keinen bekommen.
    Pauline Einstein beobachtete, wie er die Krempe des Zylinders durch seine schlanken, sehnigen Finger laufen ließ. Langsam und gleichmäßig, fast ohne zu hüpfen, drehte sich der Hut wie eine alles mit sich ziehende Uhr.
    Schon gestern, als die Berline gebracht worden war und Höchtl mit denselben Atemwolken vor dem Mund, derselben russischen Mütze wie jetzt auf dem Kopf mürrisch den Empfang quittiert hatte, ohne die dicken, fellgefütterten Handschuhe auszuziehen, hatte Jakob ihm vom selben Fenster aus zugesehen.
    »In London testen sie die ersten elektrischen Motorwagen auf unterirdischen Strecken«, hatte er gesagt, »während München den Ausbau der Pferdebahn diskutiert!«
    Albert hatte sich über seinen Onkel gewundert. Seine Mutter nannte Jakob später »verächtlich noch gegen sich selbst«.
    »Nicht mal geantwortet hat er«, fing Jakob jetzt wieder von Benz an. Minutenlang entgegnete keiner der anderen etwas, und nicht nur für Albert war es ein zunehmend angespanntes Schweigen. Pauline war die Erste, die es nicht mehr aushielt. Sie brach die Stille, indem sie freundlich vorschlug, er könne noch immer Höchtl losschicken.
    Aber keine Regung bei Jakob.
    »Der kann doch bei den Leuten von Benz vorsprechen!«
    Jakob brummte kurz.
    »Obwohl die Zeit langsam knapp wird.«
    »So weit kommt es noch«, sagte Jakob, der Wert darauf legte, mit seinen Patentanträgen nicht weniger erfolgreich zu sein als Benz.
    »Du bist sicher, dass die Anfrage Benz erreicht hat?«, fragte Pauline, ohne eine Antwort zu bekommen.
    Jakob stand noch immer am Fenster und gab sich dem hin, was seit einer Woche seine Lieblingsbeschäftigung war: sich im Detail vorzustellen, wie sie in jetzt nur noch einer knappen Stunde vor dem Schwabinger Bürgermeister Alois Ansprenger, vor dem Direktor der elektrotechnischen Versuchsstation Friedrich Uppenborn, vor der nationalen und internationalen Presse und vor allem vor den Münchner Bürgermeistern Wilhelm Georg von Borscht und Dr. Johannes von Widenmayer vorfahren mussten, als wären sie gemeine Geschäftsleute.
    »Wer in einer Kutsche kommt«, hatte Jakob gestern gesagt, »kann auch mit Eierkohlen handeln oder mit Ackergäulen.« Nicht in der Zukunft zu sein, betrachtete er als glatte Zurücksetzung.
    Hermann nestelte an seinem Hemdkragen weiter, den Pauline aufgegeben hatte, und wiederholte seine Meinung jetzt auch: Bescheidenheit wirke gut, und »Protzerei legen sie eh nur wieder gegen uns aus«.
    Er war ganz anders als sein jüngerer Bruder, der, noch immer auf Höchtl hinunterblickend, die Zungenspitze an den Gaumen legte und Luft über die Schneidezähne zischen ließ.
    »Wieso Protzerei? Benz hat man zugejubelt.«
    Pauline meinte, das könne man nicht vergleichen und laut Hermann sollte man es zumindest nicht. Beide hatten Stimme und Blick gesenkt, als redeten sie über eine aus eigenem Verschulden in die Familie gekommene Krankheit, die für andere eine Zumutung war.
    Das kannte Albert auch aus der Schule: Erst ließ der Lehrer eine ironische Bemerkung fallen, dann wurde sie von einem dummen Schüler grinsend wiederholt und musste ignoriert werden. Auf Dauer kratzte sie aber an der Seele, wie ein sich durch die Schuhsohle arbeitender Nagel einem, wie schief man auch lief, Zeh oder Ferse doch blutig machte, bevor man zu Hause war.
    Eine direkte Frage, wovon sie redeten, hätten seine Eltern oder sein Onkel mit einer abwinkenden Geste beantwortet. Da war Albert sicher.
    Über Jakobs Zähne zischte wieder Luft. Er hatte für Ängstlichkeit nichts übrig. Unter den Überredungskünstlern galt er als Genie, aber vielleicht hatte das Glück ihn zu Beginn dieses Jahres ja tatsächlich verlassen, wie es Hermanns erklärte Meinung war.
    Albert sah vom Kartenhaus auf und beobachtete, wie sein Vater die Uhr in die

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