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Die Entfuehrung

Die Entfuehrung

Titel: Die Entfuehrung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frances Watts
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gewesen«, sagte sie sehnsüchtig. Dann wurde ihre Stimme entschlossen. »Das mache ich. Vielleicht lerne ich ja den Patenonkel meiner Mutter kennen.«
    Die beiden kletterten die Leiter hinunter. Im Schatten des Baumes warteten sie, bis Großvater Nelson die erste Biegung der kurvenreichen Straße umrundet hatte, dann eilten sie ihm nach.
    Sie hielten sich dicht an die Büsche am Straßenrand, sodass sie darin verschwinden konnten, falls sich Großvater Nelson umdrehte. Aber sie hätten sich keine Gedanken zu machen brauchen; nicht ein Mal sah sich der Großvater um.
    »Also, wenn er ein Spion ist, dann ist er nicht besonders aufmerksam«, bemerkte Alistair. »Er ist ungefähr so vorsichtig wie Alex und Alice.«
    »Wer sind die denn?«, fragte Tibby Rose.
    »Mein Bruder und meine Schwester«, klärte Alistair sie auf. »Wir sind sogar Drillinge.«
    »Drillinge?«, sagte Tibby Rose. »Ich hab noch nicht einmal einen Freund oder eine Freundin gehabt, ganz zu schweigen von Geschwistern – und Mutter und Vater auch nicht, um genau zu sein.«
    »Ich habe auch keine Eltern mehr«, sagte Alistair. »Sie sind vor vier Jahren geschäftlich verreist, dann ist ein Unfall passiert ...«
    Als sie am Fuß des Berges angelangt waren, kannte Tibby Rose bereits die ganze Geschichte über den Tod von Alistairs Eltern, über Onkel Ebenezer und Tante Beezer und ihre Wohnung in Smiggins. Und Alistair wusste, woher Tibby Rose ihren Namen hatte (auch wenn er von der ersten Tibby, der Forscherin, noch nie gehört hatte), und erfuhr, wie gelangweilt und einsam sie sich in dem großen alten weißen Haus auf dem Berg fühlte, in dem sie niemanden hatte außer ihrem Großvater und ihrer Großtante.
    Am Fuß des Berges mündete der Weg in eine Straße,an der einstöckige graue Häuser standen. Jedes hatte ein gepflegtes Rasenstück, ein Blumenbeet und einen weißen Lattenzaun. Der einzige Unterschied, den Alistair entdecken konnte, lag in den Farben der Blumen und den Hausnummern auf den ebenfalls einheitlichen blauen Postkästen. Verglichen mit dem sanften Rosa und dem blassen Gelb und den warmen Brauntönen der Häuser in Smiggins sahen diese Häuser sehr abweisend aus.
    Hier und dort waren Mäuse zu sehen. Sie zupften Unkraut in ihren makellosen Gärten oder gingen mit Einkaufstaschen die Gehwege entlang. Fast alle grüßten Dr.Nelson, der ungefähr einen Block weit vor ihnen zielstrebig dahinstapfte.
    Tibby Roses Großvater grüßte zurück, indem er sich an den Hut tippte oder seinen Spazierstock schwang, aber er blieb nicht stehen, um ein paar Worte zu wechseln. Er war eindeutig in Eile, auch wenn er nicht allzu schnell ging.
    Ein paarmal hatte Alistair den Eindruck, Getuschel und gemurmelte Ausrufe zu vernehmen, aber sobald er sich umdrehte, um festzustellen, ob sie ihm oder Tibby Rose galten, blickten die anderen Mäuse jedes Mal stur auf eine Stelle genau über seiner Schulter oder sahen zu Boden – irgendwohin, nur ihn oder Tibby schauten sie nicht an. Er verspürte ein seltsames Kribbeln im Nacken.
    Bald machten die Wohnhäuser Läden Platz. Die meisten waren einstöckig, dazwischen standen bisweilen zwei- oder dreistöckige Geschäftsgebäude aus Backstein. Tempelton hatte wohl eindeutig mehr gewerbliche Bauten als Smiggins. Auf dem Gehweg wurde es immer enger. Tibby Rose, die von dem Getriebe und Geschiebe etwas verunsichert war, hielt sich dicht an Alistair.
    Es gab Mäuse mit Aktentaschen, Mäuse, die Kinderwagen schoben, Mäuse auf Fahrrädern und Mäuse, die Karren mit Obst und Gemüse zogen.
    Alistair und Tibby Rose wurden angerempelt und geschubst. Alistair erschrak etwas, als er den Blick einer dünnen braunen Maus mit spärlichen braunen Barthaaren auffing, die ihn anzustarren schien. Tempelton war wirklich ein unfreundliches Pflaster, fand er. In Smiggins grüßten sich die Mäuse immer, wenn sie sich auf der Straße begegneten, ob sie sich kannten oder nicht.
    Schnell wandte Alistair den Blick ab, doch da erschrak er furchtbar. Er blickte auf das überdimensionale Bild einer gebieterisch aussehenden Maus in violetten Samtgewändern und einer diamantenbesetzten Krone auf dem Kopf. Sie war auf die Seitenwand des höchsten Gebäudes gemalt. Über ihr schwebte eine riesige silbern-violette Fahne. Das musste Königin Eugenia sein, vermutete er. Er hatte in der Schule etwas über die sourisanische Königin gelernt.
    Es wurde immer schwieriger, Großvater Nelsons braunen Hut aus der Menge herausragen zu sehen, und auf einmal

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