Die Entfuehrung
konnte ihn Alistair nirgendwo mehr entdecken.
»Wir haben ihn verloren«, sagte Alistair, doch Tibby Rose packte seinen Arm.
»Dort!«, sagte sie mit ausgestreckter Hand, und Alistair sah das schneeweiße Fell aufblitzen und links in einer kleinen Gasse verschwinden.
»Rote Spione«, zischte jemand, als die jungen Mäuse sich durch die Menge schlängelten, um dem Großvater zu folgen. »Die Königlichen Wachen kriegen euch schon noch!«
Alistair fuhr erschrocken zusammen. Waren sie damit gemeint?
Tibby Roses Griff um seinen Arm wurde fester. »Hast du das gehört?«, stieß sie hervor. Alistair fand, dass ihr rötliches Fell blasser aussah als vorher.
»Ja«, sagte er grimmig. »Ich beginne zu begreifen, was dein Großvater gemeint hat mit unerwünschte Aufmerksamkeit .« Es dämmerte ihm, dass sie hier vielleicht sogar in Gefahr waren, wenn er auch absolut keine Ahnung hatte, wieso. Weil sie rotes Fell hatten? Das klang doch kein bisschen logisch.
Sie bogen um die Ecke und blieben abrupt stehen. Die Straße war praktisch verlassen – und von Großvater Nelson keine Spur.
»Was meinst du –«, fing Alistair an, doch er wurde unterbrochen von einer Stimme hinter ihm, die sagte: »Na, so was. Noch nie im Leben habe ich eine rote Maus gesehen, und jetzt sehe ich gleich zwei auf einmal. Oder schlagen mir meine Augen ein Schnippchen?«
Die beiden jungen Mäuse drehten sich um und sahen einen gescheckten Mäuserich hinter dem Ladentisch eines Zeitungsstandes, der sich die Augen rieb. Er klang erstaunt, jedoch nicht feindselig, wie Alistair erleichtert feststellte.
»Nein«, sagte er, als er die Augen wieder öffnete. »Das sind tatsächlich zwei Rotbraune. Was macht ihr denn hier?«
Nach einer etwas unbehaglichen Pause flüsterte Alistair: »Folge einfach meinem Beispiel, okay? Und mach ein unschuldiges Gesicht.«
»Das sollte nicht zu schwierig sein«, murmelte Tibby Rose zurück. »Wir sind doch unschuldig, soweit ich weiß.«
»Äh, guten Morgen«, begann Alistair höflich und bewegte sich auf die Zeitungsstapel zu, die vor dem Ladentisch des Kiosks aufgeschichtet waren. Eine der Zeitungen hieß Tempeltoner Nachrichten , wie er bemerkte, eine andere Souris-Bote .
Er sah hinauf und betrachtete die Zeitungsgestelle, die an beiden Seiten des Standes aufgeklappt wie Flügel vom Ladentisch abstanden. Auch hier gab es eine Reihe von Titeln, die Alistair noch nie gehört hatte: Die Woche der Mausfrau und Der Grantel-Gärtner . Seine Tante und sein Onkel lasen die Schetlocker Nachrichten und die Smiggins Post , aber die konnte er hier nirgends entdecken. Alistair starrte auf die unvertrauten Titelseiten. Ihm dämmerte, dass er tatsächlich sehr weit weg von zu Hause war. Es war sogar fast so, als würde es sein Zuhause nicht geben. Einen Moment lang wurde er von Panik erfasst, doch dann blieb sein Blick an einer vertrauten Titelzeile hängen. Es handelte sich um die Zeitschrift Feinschmecker-Maus. Frau Zetland,die Nachbarin, die unter ihnen wohnte, besaß Dutzende schon zerfledderter Ausgaben dieser Zeitschrift. Das beruhigte ihn etwas, und da er merkte, dass ihn sowohl Tibby Rose als auch der Zeitungsverkäufer neugierig anblickten, schluckte er und sagte das Erstbeste, das ihm in den Sinn kam.
»Wir haben – wir haben nach einem weißen Mauseherrn mit braunem Hut und Spazierstock Ausschau gehalten. Er ... hat was fallen lassen und ... wir wollen es ihm zurückgeben.«
Tibby Rose nickte unschuldig. »Genau«, sagte sie.
»Weiß, sagt ihr? Brauner Hut, Spazierstock? Ach so, ihr müsst Dr. Nelson meinen. Er ist soeben dort reingegangen.« Der Scheckige deutete auf eine Tür, auf der Tempeltoner Nachrichten stand. »Besucht wahrscheinlich seinen alten Freund Granville. Ihr kennt Granville? Den Zeitungsverleger?«
Alistair und Tibby Rose schüttelten den Kopf.
»Na, so was. Ich dachte, Granville kennt jeder. Doch, ich schätze mal, dass Granville sich sehr freut, den alten Dr. Nelson zu sehen. Es gab eine Zeit, da haben die beiden fast täglich zusammengegessen, damals, als der Doc noch am Krankenhaus gearbeitet hat.« Er stützte die Ellbogen auf den Ladentisch und beugte sich vertraulich vor. »Aber das ist natürlich schon lange her. Zehn, elf Jahre, vielleicht mehr. Wir sehen Dr. Nelson nur selten, seit seine Schwester diese schlimme Krankheit hat.«
»Eine Krankheit?«, fragte Tibby Rose überrascht.
Der Zeitungsverkäufer ließ betrübt den Kopf hängen. »Die arme alte Miss Harriet«, sagte er.
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