Die Entfuehrung
als er hörte, wie Tibby Rose mit leiser Stimme nach ihm rief.
»Alistair, komm mal hier rüber.«
Sie war auf der anderen Seite des Wäldchens, und als Alistair bei ihr ankam, sah er, dass sie bereits viele Stränge einer Schlingpflanze gesammelt und sie über einen umgefallenen Baumstamm gehängt hatte. Aber nicht deshalb hatte sie nach ihm gerufen. »Schau mal«, sagte sie, »Brombeeren.«
Alistair war zu beschäftigt gewesen, um seinen Hunger zu spüren, doch als er jetzt die Brombeerhecken sah, wurde ihm das nagende Gefühl in der Magengegend überdeutlich bewusst. »Genial!«
Sie schlugen sich den Bauch voll mit den säuerlichen, saftigen Beeren, dann machten sie sich wieder an die Arbeit. Die Sonne stand schon tiefer am Himmel, als sie schließlich zwölf Bambusstämme beieinanderhatten, vom Laub befreit und fertig, um mit den Schlingpflanzen zusammengebunden zu werden, die Tibby Rose gesammelt hatte. Sie legten die Stämme auf dem Boden nebeneinander, und Tibby zeigte Alistair, wie man die Stränge um die Stämme schlang und sie fest mit dem jeweiligen Nachbarstamm verband. Als sie die Bambusstämme jeweils im gleichen Abstand an vier Stellen zusammengebunden hatten, hob jeder ein Ende des Floßes hoch. Gemeinsam trugen sie es zum Ufer.
»Warte mal«, sagte Tibby Rose, als sie es ins flache Wasser gleiten ließen. »Wir brauchen etwas zum Steuern.«
Sie eilte zurück in den Bambushain, nahm den Stein, den Alistair bereits weggeworfen hatte, wählte einen langen Stamm aus und sägte los. »Steuerstange«, sagte sie atemlos, als sie zurückkam.
Tibby stieg vorsichtig auf das Floß, das ein bisschen wankte, ihr Gewicht jedoch trug. Dann watete Alistair knietief ins Wasser, schob das Floß in die Mitte des Flusses und sprang auf.
»Geschafft!«, rief Tibby begeistert, als sie sanft mit der Strömung schaukelten. Mit der Steuerstange, die sie in den sandigen Grund stieß, hielt Tibby das Floß auf Kurs. »Wohin jetzt, Kapitän?«
Alistair nahm seinen Schal ab und benetzte seinen juckenden Hals mit Wasser. Er überlegte. »Es wird bald dunkel sein«, sagte er. »Ich schlage vor, wir ziehen das Floß wieder ans Ufer und versuchen, etwas zu schlafen. Beim ersten Licht legen wir dann ab. Was meinst du?«
»Aye, aye«, sagte Tibby. »Brombeeren zum Abendessen, habe ich recht?«
Die Aussicht war nicht so verlockend, wie sie es noch vor einigen Stunden gewesen wäre, doch Alistair nickte. »Und lass uns auch welche für die Reise sammeln«, sagte er.
Kurz danach schlüpften sie wieder in ihr Versteck im Uferschilf zurück. Das Floß hatten sie neben sich an Land gezogen. Ein ansehnlicher Haufen Brombeeren lag in einer Ecke. Als Alistair darauf wartete, einzuschlafen, sah er ein Dutzend umherschießender Schwalben, die sich im verblassenden Licht gegen den Himmel abhoben. Er war ein bisschen nervös, wenn auch optimistisch. Morgen würde er auf dem Weg nach Hause sein.
7 DAS SPITZFELS-MASSIV
A lex und Alice machten sich früh auf den Weg. Sie hatten die Reste der Mahlzeit dabei, die ihnen ihre Wirtin widerstrebend mitgegeben hatte.
»Sag bloß noch mal, dass Bauersfrauen Waisenkinder lieben«, sagte Alice. Sie streckte sich, um die Verspannung vom Obstpflücken aus den Armmuskeln zu bekommen, und reckte den Rücken, der von der unbequemen Nacht auf dem Boden der Scheune mit nur einem Kornsack als Kissen schmerzte.
»Sie war ja gar nicht die Frau eines Bauern«, sagte Alex spitz. »Sie war die Bäuerin selbst. Ich hab nicht gesagt, dass Bäuerinnen Waisenkinder mögen, oder?«
Nachdem sie einige Stunden marschiert waren, rasteten sie am Wegesrand und aßen jeder ein Stück Brot. Allerdings bestand Alice darauf, sparsam damit umzugehen, falls sie bis zum Abend nichts Essbares finden könnten.
Die Straße vor ihnen schlängelte sich nach Osten, während ein schmaler Feldweg in Richtung Norden abbog.
»Das muss wohl die Abkürzung über das Spitzfels-Massiv sein«, sagte Alice und deutete auf den schmalen Weg.
»Super, dann lass sie uns nehmen«, sagte ihr Bruder wie aus der Pistole geschossen.
Alice zögerte. »Aber hatten wir nicht beschlossen, dass es klüger ist, auf der Straße zu bleiben?«
»Klüger!«, sagte Alex abfällig. »Klugheit nützt uns gar nichts – wir müssen schnell vorankommen! Ich wette, die Entführer nehmen die Straße, meinst du nicht? Deshalb kürzen wir über den Berg ab und überholen sie.«
»Klingt nach einem guten Plan«, räumte Alice ein. »Aber nur, wenn du den
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