Die Entfuehrung
von Ziegenkäse musste Alex ein Stöhnen unterdrücken.
»Na ja, es war wirklich ganz gut«, sagte der Mäuserich namens Horatius. »Aber jetzt sind sie uns entwischt.«
»Beruhige dich, lieber Horatius«, sagte die graue Maus. »Wir verfolgen zwei Kinder, Himmel noch mal – die werden ja wohl kaum schneller sein als wir, oder? Außerdem haben sie sich bestimmt für den Umweg über die Straße entschieden. Da wir die Abkürzung über das Gebirge nehmen, überholen wir sie. Wart’s nur ab – bestimmt müssen wir eine Ewigkeit rumsitzen und warten, bis sie kommen.«
»Wir werden ja sehen«, sagte der düstere Horatius, der eindeutig nicht überzeugt war. »Wie dem auch sei, Sophia,ich bin mir nicht sicher, dass die Strecke über den Pass eine kluge Entscheidung ist.«
Alice stieß ihren Bruder mit dem Ellbogen an. »Siehste?«
»Sei doch nicht ständig so nervös, Horatius«, beruhigte ihn Sophia. »Das bekommt deinem Magen nicht. So, lass uns nach einem Platz suchen, wo wir bis zum Sonnenaufgang übernachten können, damit wir den Weg auch gut finden. Na bitte – klingt das nicht nach einer klugen Entscheidung?« Sie ließ den Blick über die mondbeschienene Landschaft gleiten. »Ich glaube, dort oben ist eine Höhle.«
Alice musste einen Schrei unterdrücken. Die graue Maus deutete direkt in ihre Richtung!
Alex packte seine Schwester am Arm. Beide zogen sich leise und vorsichtig zurück, tiefer hinein in die Höhle.
Jetzt konnten sie die beiden Mäuse zwar nicht mehr sehen, aber ihre Stimmen kamen näher.
»Kommt nicht infrage«, sagte Horatius. »Sieh dir nur die Fledermäuse an, die da rumschwärmen.«
»Die tun dir schon nichts«, beruhigte ihn Sophia.
»Nein«, wiederholte Horatius bestimmt. »Nicht in die Höhle.«
»Na gut, von mir aus ... Und wie steht’s mit dem überhängenden Felsen ein Stück weiter? Sieht so aus, als ob er mit weichem Gras überzogen ist, auf das wir uns legen können.«
»Schon besser«, sagte Horatius. Seine Stimme war jetzt so nahe, dass die beiden direkt vor der Höhle stehen mussten.
Alex und Alice lagen still da, drückten sich an die feuchte, kalte Höhlenwand und trauten sich kaum zu atmen.
»Bist du sicher, dass du nicht in die Höhle willst?«, fragte Sophia, und plötzlich sahen die beiden junge Mäuse, wie sich ihre Figur im Höhleneingang abzeichnete.
Alice drückte ihr Gesicht auf den Höhlenboden, um ein erschrockenes Quieken zu unterdrücken.
»Sophia!«
»Ich mach ja nur Spaß«, sagte die Maus unbeschwert, und sie gingen weiter.
Alex und Alice blieben zitternd auf dem Höhlenboden liegen, bis die Stimmen schließlich verhallten.
Alex setzte sich auf. »Das war knapp«, sagte er mit zittriger Stimme. »Jetzt wären wir fast noch selbst entführt worden.«
Alice schüttelte den Kopf. »Ich versteh das nicht«, sagte sie. »Wer folgt eigentlich wem? Das hat ja so geklungen, als würden sie uns verfolgen. Und wenn sie die Entführer sind, warum haben sie dann Alistair nicht bei sich?«
»Du hast recht.« Alex dachte einen Augenblick nach. »Vielleicht sind es gar keine Entführer«, sagte er schließlich. »Vielleicht ... vielleicht sind sie auf unserer Seite. Um ehrlich zu sein, ich fand, dass diese Sophia ganz nett klang.«
»Das sagst du doch nur wegen des Omeletts mit Ziegenkäse. Du kannst die Leute doch nicht nach deinem Essensgeschmack beurteilen.« Alice seufzte. »Sie können Freunde sein, sie können Entführer sein, sie können auch ...« IhrMagen zog sich vor Furcht zusammen, und sie merkte, wie ihr der kalte Schweiß ausbrach. »Sie könnten auch ...«, sie schluckte, »... sie könnten auch Mörder sein. Was ist, wenn sie Alistair umgebracht haben und jetzt hinter uns her sind?«
Alex lachte höhnisch. »Du hast zu viele von Alistairs Abenteuergeschichten gelesen, Schwesterherz. Mörder halten sich nicht mit Ziegenkäse-Omeletts auf.«
Alice musste zugeben, dass das unwahrscheinlich klang, obwohl sie annahm, dass auch Mörder essen mussten. »Ich weiß nicht, wer sie sind und was sie von uns wollen«, sagte sie. »Aber ich würde es gerne herausfinden. Komm, wir gehen ihnen nach und versuchen, noch ein bisschen mitzuhören.«
»Muss das sein? Ich bin müde«, grummelte Alex. Dann erhellte sich seine Miene. »Aber wenn sie tatsächlich auf unserer Seite sind, dann essen wir bald Ziegenkäse-Omeletts statt altem Brot. Du hast recht, Schwesterherz. Los, ihnen nach.«
Alex ging voraus, und erneut begaben sie sich auf den Bergweg.
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