Die Entführung der Musik
bestimmte Nahrungsmittel aus dem Meer.«
»Nahrungsmittel? Würdest du mich fangen und filetieren, Men- schenmann?«
»Nein, nein!« wehrte er hastig ab. »Nicht dich. Thunfisch, Makrele, Schellfisch, Sardinen - diese Art von Meeresnahrung.«
Genau über den ersten schillernden Schuppen stemmte sie die Hän- de in die Hüften. »Das hätte ich mir denken können. Menschenmann, einige meiner besten Freunde sind Thunfische.« Ihr Ausdruck wurde weicher. »Aber du sagtest, du ißt sie nicht.«
»Ich kann nicht.« Wieder nieste er, diesmal etwas weniger explosiv, da sie ein Stück von ihm abgerückt war.
Sie streckte die Arme über dem Kopf aus und verzog die Lippen zu einem Schmollen. »Dann wäre es wohl wenig angenehm für dich, mit mir zu schlafen.«
»Ich glaube, du würdest es auch nicht besonders genießen.« Die Enttäuschung in seiner Stimme überraschte ihn.
»Ich werde meinen Schwestern von deinem Hilfsversprechen erzäh- len.« Abrupt drehte sie sich um und wälzte sich ins Wasser zurück.
»Hey, warte!« Er stand auf. »Ich habe gar nichts versprochen.«
Kopf und Schultern tauchten wieder auf, das frei fließende Haar klebte an der bloßen Haut. »Wenn du den Atem lange genug anhalten könntest, gäbe ich dir zum Dank einen Kuß.«
»Ich denke, es wäre nichts Schlimmes dabei. Ich meine, es ist nur ein Kuß.« Er trat zum Rand des Wassers und beugte sich nieder.
Als ihre Lippen sich trafen, durchlief ihn ein Gefühl, wie er es noch nie erfahren hatte. Er hatte das Tauchen im Meer als Sport betrieben und gespürt, wie die launenhafte warme See ihn rundum umfing, eine einzige, den ganzen Körper umfassende Zärtlichkeit. So war dieser Kuß - eine von tiefen, süßen Versprechungen und den Echos überna- türlicher Schönheit elektrisch aufgeladene Leidenschaft, die sich sei- ner gänzlich bemächtigte. Es war, als betaste sie seine Seele.
Als sie sich zurückzog, blieb der Geschmack von Salz und Zucker auf seinen Lippen zurück. Gleich darauf nieste er, worüber sie ver- gnügt auflachte. Ihre Kiemenöffnungen kräuselten sich wie bei einem Mantarochen, die schrägstehenden Augen funkelten feucht.
»Es gelingt sowieso nie«, erklärte sie ihm. »Wenn ich an Land komme, wälze ich mich herum wie eine gestrandete Flunder, und vor- bei ist es mit der Liebe. Wenn der Mann in mein Reich hereinkommt, kann er nie lange genug die Luft anhalten oder im Wasser schweben, ohne Wasser zu treten.« Mit hochschlagendem Schwanz rollte sie sich herum und tauchte unter.
»Das ist in Ordnung so«, versicherte er, als sie weiter draußen wie- der auftauchte. »Ich bin kein großartiger Schwimmer, und es war ein wunderbarer Kuß.«
»Das freut mich. Such unsere Musik, Bannsänger! Such unsere Lie- der und bring sie uns wieder, dann ist dir meine Dankbarkeit gewiß, und ebenso die meiner Schwestern und all unserer Meeresgenossen.« Auf dem Rücken dahintreibend schlug sie träge mit dem Schwanz.
»Übe das Luftanhalten, und wer weiß, was eines Tages möglich wird? Unter Wasser bleibt deine Allergie sicherlich ohne Auswirkungen.« Damit wölbte sie den Rücken und tauchte nach unten.
Sie hatte recht. Wenn er unter Wasser war und die Luft anhielt oder dort aus einem Luftvorrat atmete, würde das seine Allergie nicht rei- zen.
»Warte!« Er watete in das klare warme Wasser hinaus, bis es seine Knie umspülte. »Komm zurück!«
Kein grünlich schillernder Schwanz durchbrach die Meeresoberflä- che, keine verheißungsvollen Augen schauten zu ihm zurück. Sie war verschwunden und hatte ihm nur den Geschmack ihres Kusses auf den Lippen zurückgelassen, so süß wie Schokolade und so prickelnd wie Tau. Ein Kuß und eine Bitte.
Was geschah mit der Musik der Welt?
Widerstrebend kehrte er in den Wald zurück. Von einem Mann mit weniger Allergien und einem größeren Lungenvolumen hätte sie mehr gehabt.
Die Mannschaft hatte mehr als die Hälfte der Reparaturen beendet, als das schwächer werdende Licht die Nacht ankündigte. Gerade stahl sich die Sonne im Westen davon, da sprach Mudge seinen Freund an.
»'ab dich den ganzen Tag nich gesehn, Kumpel. Wo 'aste dich 'in verkrümelt?« Jon-Tom antwortete zwar nicht, doch das Lächeln auf seinem Gesicht genügte, um die Neugier des Otters anzustacheln. Mudge drang nicht in den Freund und wartete lieber, bis dieser weni- ger verwirrt wirkte. Oder vielleicht war wirr eine zutreffendere Be- schreibung seines Zustands.
Außerdem erwartete ihn Pivver. Natürlich nur zum Reden,
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