Die Entführung der Musik
Monolithen war mattschwarz und ansonsten ohne weitere Merkmale. Als der Ne- bel sich allmählich lichtete und die Sonne kräftiger daraufprallte, er- hielten die Klötze einen onyxartigen Glanz, der das Licht ebensosehr aufzusaugen wie zu reflektieren schien. So monströs waren diese Ge- bilde, daß sie die Schreie der verzweifelten Wale abblockten.
Hinckel konnte sie unmöglich übersehen. Er glotzte die mammut- haften Erscheinungen mit aufgerissenen Augen an, sang und spielte aber weiter, ebenso wie sein abscheulicher Chor.
Mudges Schwert hing ihm zeitweilig vergessen an der Seite hinun- ter, und auch er starrte auf die überwältigende dreiteilige Formation.
»Verdammt, zum Teufel, Kumpel, was is das?«
Jon-Tom hatte im Spiel innegehalten und sich gleichfalls umge- dreht, um die Erscheinung ins Auge zu fassen. In dem von Hinckel und seinem Gefolge verursachten üblen Wind flatterte ihm das Haar.
»Ich... ich weiß es nicht.« An dieser Anordnung war etwas so Ver- trautes ...
Ein breites Grinsen lief über sein Gesicht. »Jetzt weiß ich es. Das ist das Werk unseres Freundes.«
»Aber du hast doch gesagt, die verdammten Wissenschaftler brau- chen - egal, wo - immer 'ne Menge Zeit für ihre Arbeit.«
»Das stimmt auch, aber unser Freund ist außerdem Musiker, und solche Leute reagieren eher instinktiv. Und genau das hat er getan.«
Der Otter beäugte die monolithischen Gebilde. »Sieht aus wie so 'n verdammter fremdartiger Tempel, wa.«
»So weit bist du gar nicht von der Wahrheit entfernt, Mudge, gar nicht so weit.«
»Ich versteh nich, wie uns das 'elfen soll, wenn nich eins von den Dingern da umkippt un auf den 'inckelburschen drauf fällt.«
»Sperr einfach Augen und Ohren auf.«
Jon-Tom stolperte durch den schwarzen Sand eilig an den verblüff- ten Soldaten und Prinzessinnen vorbei. Nur einen Moment brauchte er, dann hatte er gefunden, was er suchte. Das Kabel war so dick wie sein Arm und endete in einem glatten flachen Ausgang, wie er ihn noch nie gesehen hatte. Doch der Zweck war mehr als klar.
»Alle hinlegen«, schrie er, »und festhalten!«
Verständnislos, aber gehorsam ließen sich die Gefährten auf den Sand fallen.
Fest hielt er die Duar mit der rechten Hand umklammert, packte mit der anderen das Kabel und rammte es in den empfindsamen Nexus, wo die Saiten des Instruments sich überschnitten. In einer Folge auf- glühender Wellen trat explosionsartig Licht aus dem Klangkörper, und ein goldener Nimbus dehnte sich aus und umfing das überdimensiona- le eiförmige Gebilde. Obwohl das Kabel sich wand wie eine Schlange in den Wechseljahren, behielt er die Duar im Griff. Gern hätte er ein wenig Watte für die Ohren gehabt, doch dafür war jetzt keine Zeit.
Schon immer hatte er sich gefragt, wie seine Musik wohl klingen mochte, wenn sie durch ein anständiges Paar Lautsprecher verstärkt wurde.
XXV
Von Jon-Tom leicht abgeändert und ihrer gegenwärtigen gefährli- chen Lage angepaßt, brach der erste umwerfende Stoß von Alice Coo- pers ›Hey Stupid‹ aus den Monolithen hervor. Er zog dem völlig ver- blüfften Hinckel die Füße unter dem Leib weg und warf ihn als tor- kelnde Masse Hals über Kopf zurück, bis seine Flucht von einem stachligen großen Busch aufgehalten wurde.
Mit wild flatternden Flügeln versuchte sein unmusikalisches Gefol- ge, die Stellung zu halten. Doch gegen Subwoofer von der Größe ei- nes Omnibusses hatten sie keine Chance. Der gigantisch verstärkte Banngesang blies sie wie Blätter davon, überwältigte sowohl ihre Mu- sik als auch ihre verkümmerten Muskeln.
Irgendwie gelang es ihnen, sich zu behaupten. Mit einem Geflatter, das der Parodie eines Schwarms erschreckter Kolibris ähnelte, gewan- nen sie Raum zurück und drangen vor, um ihren Herrn aus seinem stacheligen Gefängnis zu befreien. Die Angst vor dem Versagen hatte diese Geister durch die Ewigkeit getrieben, und sie stellte eine macht- volle Antriebskraft dar. Sie begannen wieder zu singen, konnten aber gegen Jon-Toms Spiel nicht weiter vorankommen.
Das Ergebnis war ein musikalisches Patt von beinahe kosmischen Ausmaßen. Wie virtuos auch immer er spielte, Jon-Tom konnte sie nicht zurücktreiben. Der Macht seines Banngesangs und des außer- weltlichen Verstärkers trat die nackte Verzweiflung der größten Flopps der Musikgeschichte mit gleicher Kraft entgegen. Die Schlacht artete bald zu einem Wettbewerb aus, in dem sich zeigen mußte, wes- sen Hände und Lungen zuerst erlahmen würden.
Hinckel
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